Edith Wharton: The Age of Innocence

Dass eine der besten Geschichten über die untergehende New Yorker ‘Upper Class’ der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts erst 50 Jahre später und von jemand geschrieben worden ist, der zum Zeitpunkt des Verfassens schon seit langem in Frankreich lebte, gehört zu den merkwürdigen Phänomenen im Dunstkreis literarischen Schaffens. Edith Wharton, die selbst aus diesem Milieu stammte, es aber für ihr Schreiben und für ein selbstbestimmtes Leben in Europa aufgab, hat The Age of Innocence 1920 geschrieben. Der Roman ist die Geschichte von Newland Archer, einem New Yorker Anwalt, der kurz vor der Heirat mit May Welland steht. Da tritt Ellen auf den Plan – die verführerische und ein bisschen anrüchige Cousine seiner Braut.

Der junge Snob gerät in einen Wirbel der Gefühle. Eine Heirat kommt nicht in Frage und dennoch kann er seine Gefühle nicht zähmen. Willensschwach schwankt er zwischen beiden Frauen. Der Ausweg soll schliesslich sein, dass Ellen seine heimliche Geliebte wird. Ellen stimmt zu – zuerst unter der Bedingung, dass sie sich zwar lieben wollen, aber keinen Sex haben. (Natürlich wird es nicht so explizit formuliert!) Später – Archer hat mittlerweile May geheiratet, nur schon, um den Konventionen zu ensprechen – stimmt Ellen sogar dem Sex zu. Es ist aber zu spät. Die anscheinend so naive May überrascht ihren frisch Angetrauten, indem sie Ellen verrät, schwanger zu sein. Es ist für Ellen, und dann auch für Archer ganz klar, dass sie von der Affäre weiss. Ellen kehrt zurück nach Europa, woher sie kam; Archer bleibt seiner Kinder wegen mit May verheiratet. Als er Jahre später, mittlerweile verwitwet, mit seinem erwachsenen Sohn in Paris weilt und dieser die dort wohnende Ellen besuchen geht, komm Newland zwar bis zur Haustüre mit, ist dann aber zu feige, seine ehemalige Geliebte zu konfrontieren. Er bleibt unten stehen und blickt bloss zu ihrem Balkon hoch.

Diese Zusammenfassung macht schon klar, welcher Meister hinter Edith Wharton steht: Henry James, mit dem sie ja auch befreundet war, und der wie sie aus den USA nach Europa “geflohen” war. Der Umgang mit der unterdrückten Sexualität ist bei beiden die zentrale Thematik – eine Thematik nebenbei, die zur selben  Zeit ja auch einen Sigmund Freud umtrieb. Während James den Fall meist sozusagen von der andern Seite her beleuchtet (dem Leben des Exilanten im Exil), stellt Wharton die Rückkehr einer Exilantin dar. Unterdessen an ein freieres Leben gewohnt als das der Klasse, aus der sie stammt, eckt sie überall an und wird schliesslich mehr oder weniger subtil dazu gezwungen, New York wieder den Rücken zuzukehren. Auobiografisches wird bei beiden eine grosse Rolle gespielt haben, und beide waren ausgezeichnete Beobachter menschlichen Verhaltens und Benehmens.

In den Worten jenes On-line-Grossbuchhändlers könnte man sagen: Wer Henry James mag, wird auch Edith Wharton lieben. Sicher, James ist besser, präziser in den Nuancen der inneren Vorgänge, subtiler in den Andeutungen der die Ereignisse auslösenden Trigger. Aber Edith Wharton hat mit diesem ihrem Roman 1921 den Pulitzer-Preis nicht zu Unrecht gewonnen.

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