Barthold Heinrich Brockes: Werke. Band 1

Nachdem ich bereits über die zwei wichtigsten Texte dieser Werkausgabe hier geschrieben habe (Brockes’ Selbstbiographie und den Verdeutschten Bethlehemitischen Kindermord), nun noch ein paar Bemerkungen zum ganzen Buch. Es handelt sich um eine mit der für den Wallstein-Verlag typischen sorgfältigen Gestaltung gemachte Ausgabe, erschienen 2012, illustriert mit den Kupferstichen der zeitgenössischen Ausgaben. Der Herausgeber, Jürgen Rathje, stützt sich jeweils auf die letzte zu Lebzeiten Brockes’ erschienene Ausgabe ab. Darüber lässt sich streiten, heute verwendet man als Referenz meist wieder die Ausgabe, die literaturgeschichtlich oder zeitgenössisch den grössten Einfluss gehabt hat – was nicht unbedingt die Ausgabe letzter Hand sein muss. Gerade Brockes hatte die Tendenz, dass er seine Bücher immer wieder erweiterte. Auf der andern Seite ist es auch gerade deshalb vielleicht so, dass beim Publikum auf Grund dieser Erweiterungen keine Ausgabe einen viel grösseren Einfluss haben konnte als die andere, was für die Wahl der letzten zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten spricht.

Ausser der Selbstbiographie und dem Verdeutschten Bethlehemitischen Kindermord mit Anhang finden wir in Band 1 der Werkausgabe noch Brockes’ Aufsätze in Christian Friedrich Weichmanns Poesie der Nieder-Sachsen, dann seine Aufsätze im Patrioten und zum Schluss die zerstreut oder zu Lebzeiten gar nicht gedruckten Gedichte. Bei der Poesie der Nieder-Sachsen und dem Patrioten handelt es sich um heute weitgehend unbekannte Zeitschriften der Epoche.

Die Aufsätze in der Poesie der Nieder-Sachsen sind insofern von Interesse, als hier der Sprachkünstler und Übersetzer Brockes spricht. Fragen der Aussprache, bzw. Aussprach-Unterschiede zwischen verschiedenen Dialekten werden diskutiert, selbst eine Art Reimlexikon darf nicht fehlen. Der Übersetzer Brockes macht sich auch Gedanken darüber, ob und wie das Wort ‘fatal’ zu übersetzen wäre. Denn dass das italienische oder französische ‘fatal’ je nach Verwendung im deutschen mit einem andern Begriff zu übersetzen ist, steht für den feinen Sprachkenner fest. Er gibt für jede Aussgangssprache fünf Beispiele verschiedener Verwendung und also anderer Übersetzung. Brockes mag ein Amateur gewesen sein – er war ein Amateur, der sich über seine Liebhaberei sehr genaue Gedanken machte. Die Übersetzungskunst mochte zu seiner Zeit noch in den Kinderschuhen stecken – er machte sich zumindest daran, sie der Muttermilch zu entwöhnen.

Die Aufsätze im Patrioten sind hingegen die zu erwartenden eines konservativen Bürgers, der sich um Sitte und Anstand seiner Zeitgenossen Sorge macht. Plattes Vernunftdenken und überkommene Religiosität stehen hier im Vordergrund.

Im Teil des Nicht-Veröffentlichten finden wir Widmungsgedichte und andere Kleinigkeiten, die Brockes keiner oder keiner zweiten Veröffentlichung wert hielt. Sie sind denn auch literarisch danach und allenfalls dem dedizierten Literaturhistoriker interessant. Höchstens, dass der heutige Leser stutzt, wenn er sieht, dass Brockes das eine oder andere satirische Gedichtchen übersetzt hat, das so gar nicht zum braven Staatsbürger und Ehemann passt, als der er sich im Patrioten geriert.

580 Seiten Text und Illustrationen, 200 Seiten editorischer Anhang mögen zeigen, wie viele Informationen der heutige Leser braucht, um einen Autor des beginnenden 18. Jahrhunderts noch verstehen zu können. Dennoch sind die 200 Seiten gerade richtig balanciert. Der einzige Wermutstropfen ist die Tatsache, dass nirgends ein Editionsplan zu finden ist, ich also keine Ahnung habe, wann und in welchem Band das natürlich mit Spannung erwartete Irdische Vergnügen in Gott auf mich zukommen wird.

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