Arrian und Alexander der Grosse

Arrian, auch Arrianus von Nikomedien, lateinisch Lucius Flavius Arrianus Xenophon, gehört zu jener Generation von Autoren, die im 2. Jahrhundert u.Z. – bereits unter römischer Herrschaft – die griechische Sprache als Literatursprache noch einmal zur Blüte führten.

Arrian lebte ungefähr von 86 bis 160 u.Z. Beide Daten können nicht genau festgelegt werden. Er stammte aus einer vornehmen, griechischen Familie, die in den römischen Ritterstand aufgenommen worden war, und machte zuerst eine militärische Karriere, dann – vom Kaiser in den Senatorenstand erhoben – eine weitere in der Verwaltung des Römischen Reichs. Zuletzt finden wir ihn als Statthalter der Provinz Kappadokien und Befehlshaber der römischen Truppen an der Grenze zu Armenien. Danach zieht er sich ins Privatleben zurück, wird Bürger von Athen (wo er allerdings noch ein paar Ehrenämter ausübt) und widmet sich der Schriftstellerei. Die deutschsprachige Wikipedia missgönnt ihm den Namen “Xenophon”, den ihm die englischsprachige zugesteht. Da ich Arrian auf Englisch gelesen habe, und “meine” Übersetzer und Herausgeber ihm den “Xenophon” als vollgültigen Namensteil zugestehen, halte ich mich an die englische Version. Ich vermute einen Streit unter Altphilologen, den ich mangels Fachwissen sowieso nicht schlichten könnte.

Doch der Zusatz “Xenophon” ergibt Sinn. Denn jener andere Xenophon, an den man bei der Nennung des Namens wohl zuerst denkt, der athenische Feldherr, Politiker und Schriftsteller, der zwischen 430 und 354 v.u.Z. gelebt hat, war in vielem die Folie vor deren Hintergrund Arrian agierte – bewusst agierte, wie man hinzufügen muss. Beruf und Karriere der beiden Xenophone sind in vielem ähnlich: Militär und Politik verquicken sich bei beiden. Beide sind Schüler berühmter Philosophen, hie Sokrates, da Epiktet; beide haben Erinnerungen an die Gespräche ihrer berühmten Lehrer niedergeschrieben. Beide haben als Schriftsteller auf verschiedenen Gebieten gearbeitet, u.a. beide einen Bericht über einen Feldzug geschrieben: Xenophon über einen eigenen (der allerdings wohl mehr eine Flucht, einen Rückzug darstellte, und ob Xenophon tatsächlich ein führender General im Zug der 10’000 gewesen ist, bleibt umstritten), Arrian über den des grossen Alexander. Arrian wählte als Titel seines Berichts sehr bewusst den gleichen, den auch Xenophon gewählt hatte, und er spricht das auch in seinem Werk an. Beide Werke heissen also “Anabasis” (d.i. der Hinaufmarsch von der Küste ins Landesinnere).

Arrians Anabasis Alexandri gilt als das zuverlässigste überlieferte Werk über den Feldzug Alexanders des Grossen nach Indien. Arrian hatte für sein Werk Zugriff auf Quellen, die mittlerweile verloren sind – und er wusste sie zu gewichten und einzuschätzen. Seine Hauptquellen sind dabei Berichte von Ptolemäus und Aristobulos von Kassandreia. Wichtig ist für Arrian vor allem Ptolemäus, der vielleicht ein Verwandter Alexanders war und im Laufe des Feldzugs in den Offiziersrängen bis zum General aufstieg, zum Schluss einer der sieben Leibwächter und wohl auch Freund des Oberfeldherrn wurde,  sich in den Diadochenkämpfen Ägypten sichern konnte und dort als Ptolemaios I. Soter die letzte Pharaonendynastie gründete.

Arrian, selber Feldherr und Autor einer Militärtaktik, will mit seiner Anabasis keine Biografie Alexanders schreiben, sondern eine Militärgeschichte. Das Vorgehen des taktischen Genies Alexander in einer Schlacht ist ihm wichtiger als Alexanders Persönlichkeit. So kommt es, dass er vieles als simplen politisch-taktischen Schachzug versteht, was wohl tiefer in Alexanders Persönlichkeit verwurzelt war. Dass Alexander nach der Eroberung des Persischen Reichs persische Kleidung zu tragen begann und z.T. persische Sitten übernahm, hält Arrian für einen politischen Schachzug, einen Schachzug zudem, der äusserst unangenehme Nebenwirkungen zeugte, indem sich die Kerntruppe der Mazedonier davon als von einer unangemessenen Verehrung und Verfolgung barbarischer Sitten abgestossen fühlte. Dabei war es, wie die Herausgeber meiner Ausgabe glaubhaft machen können, wohl eher der tief-innigste Wunsch Alexanders nach einer Verschmelzung der beiden Kulturen – einer Verschmelzung, die die Grundlage eines gemeinsamen Reichs bilden sollte. Nur so lässt sich auch erklären, weshalb immer mehr persische Offiziere in höchste Befehlshaberstellen berufen wurden – wiederum zum Ärger der Mazedonier.

Übrigens steht der strenge Stoiker Arrian seinem “Helden” keineswegs unkritisch gegenüber. Dessen im Lauf des Feldzugs zunehmende Trunksucht mit einhergehender zunehmender Unbeherrschtheit in besoffenem Zustand wird zwar auf persische Sitten zurückgeführt und nicht auf persönliche Veranlagung (bzw. wohl auch eine Reaktion auf traumatische Erlebnisse in der Schlacht). Arrian kritisiert diese Unbeherrschtheit ebenso, wie er jene Soldaten und Offiziere kritisiert, die gegen ihren Befehlshaber aufzubegehren wagen.

Wer wissen will, was Alexander den Grossen dazu bewogen hat, auf Teufel komm raus Indien erobern zu wollen, ist mit Arrians Bericht schlecht bedient. Wir erfahren darin nur von dieser fixen Idee, sie verorten kann und will Arrian nicht. Ob sich Alexander der Grosse je Gedanken darüber gemacht hatte, wie dieses riesige Reich, das zusammenzustiefeln er gerade im Begriff war, dereinst regiert und verwaltet werden sollte, erfahren wir nicht. Wir erfahren von weiteren Eroberungsplänen. Nachdem der Feldzug nach Indien abgebrochen werden musste, weil das ganze Heer meuterte und endlich nach Hause wollte, scheint Alexander den Plan gehegt zu haben, mit frischen Leuten gen Westen, gen Karthago, zu ziehen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass für den mazedonischen König das Erobern an sich mindestens so wichtig war, wie das aus den Eroberungen resultierende Weltreich.

Der nüchterne Arrian, und das ist das Wohltuende an seinem Bericht, zieht keine Schlüsse. Und er vermeidet die schlimmsten Hyperbeln in Bezug auf Zahlen (z.B. die Grösse der in eine Schlacht involvierten Heere). Er verzichtet auf allzu Märchenhaftes. So spielen die sagenhaften Amazonen, die Alexander nach andern Berichten auch getroffen und deren Königin er geschwängert haben soll, kaum eine Rolle. Gerade mal, dass ein paar unvermutet auftauchende und rasch wieder verschwindende bewaffnete Reiterinnen als “Amazonen” bezeichnet werden und als Beweis dafür die Tatsache herhalten muss, dass diese Reiterinnen zwei ungleich grosse Brüste gehabt haben. (Was völlig normal ist, wie wir Heutigen ja spätestens seit Erich Kästner wissen… 😉 )

Gelesen habe ich die englische Übersetzung von Aubrey de Sélincourt, die 1958 zum ersten und 1972 zum zweiten Mal bei Penguin erschienen ist, mit Einführung und Anmerkungen von J. R. Hamilton. Vor allem die ausführlichen Anmerkungen tragen viel zum bessern Verständnis des Textes bei, pflegt doch Arrian manchmal sehr kurz zu sein und Dinge wegzulassen, die in einem späteren Zusammenhang doch erklärt sein müssten. Eine Lektüre, die ich sehr genossen habe; ich mag diese Art unprätentiöser Berichterstattung.

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