Christoph Martin Wielands “Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva” – Romantik avant la lettre

Was erhalten wir, wenn wir Cervantes’ Don Quijote in eine arkadisch-anakreontische Schäferlandschaft versetzen? Genau – das “missing link”, das den Spanier mit dem Taugenichts der Romantik verbindet: Don Sylvio von Rosalva. Die Ausgangslage von Wielands Roman nämlich ist ähnlich der des Don Quijote. Don Sylvio ist ein Waisenkind, das bei seiner Tante aufwächst. Diese ist eigentlich strengen moralischen Prinzipien verbunden – vor allem deshalb, wie Wieland äusserst zynisch hinzufügt, weil sie auch ohne diese Prinzipien keiner heiraten wollte, und sie sich so wenigstens den Anschein geben kann, aus einem Prinzip zur alten Jungfer geworden zu sein. (Überhaupt spricht vor allem in der ersten Hälfte des Romans Wieland so zynisch über das Verhältnis der Geschlechter, über das menschliche Balzverhalten, wie ich es bisher gar nicht kannte von ihm. Der Zynismus verliert sich allerdings in der zweiten Hälfte fast gänzlich.) Diese alte Jungfer nun gibt ihrem Neffen allerlei erbauliche Lektüre an die Hand. Der junge Mann kann nicht anders als den Inhalt der Bücher für bare Münze zu nehmen, wird er es doch von seiner Tante so gelehrt und, da er auf einem abgeschiedenen Schloss in der Nähe von Valencia ohne gleichaltrige Spielgefährten aufwächst, es nicht vergleichen und mit jemand diskutieren kann. Als ihm nun – gegen den Willen der Tante! – auch ein paar Hefte mit Märchen in die Hände fallen, ist es um ihn geschehen.

Don Sylvio glaubt auch diese Feenmärchen. Und bald hat er sich überredet, dass er selber mitten in einem stecke, indem eine böse Fee ihn an der Tante Schloss gefesselt habe, eine gute aber ihm bereits eine Prinzessin vorbereitet habe, die er sich nur noch mit mutigen Taten zu erobern hat. Als dann die Tante doch noch, ganz gegen ihr Prinzip, mit einem Bräutigam auftaucht und gleich auch noch dessen Tochter mitschleppt als zukünftige Braut des Neffen, sieht Don Sylvio das als Zeichen an – wegzulaufen. Denn die Tochter ist, mit Verlaub, potthässlich (Wieland beschreibt sie zum Schreien gut!), und ausserdem hat er gerade im Rasen draussen ein Medaillon gefunden, in dessen Innerem das Bildnis einer wunderschönen Frau prangt. Das Medaillon hat er gefunden auf der Suche nach Schmetterlingen, mit denen er sein Zimmer verziert. Vor allem dieser eine, blaue (!) Schmetterling, den er nicht fangen kann, hat es ihm angetan. Er kommt zur Überzeugung, dass es sich bei diesem um eine verzauberte Prinzessin handle, die Prinzessin, deren Bild er nun in Händen hält. Während die Tochter von Tantchens Bräutigam ganz offensichtlich die böse Fee ist, die ihn erwischen will.

Don Sylvio also nimmt seinen Bediensteten Pedrillo und seinen Hund Tintin und marschiert von zu Hause los. Den Hund wird er unterwegs verlieren, Pedrillo aber, ein zweiter Sancho Panza, wird ihn für den Rest seines Lebens begleiten. Auch Pedrillo lässt sich von der Realität der Feen und ihrer Verzauberungen überzeugen, und so haben wir bei jedem noch so trivialen Ereignis auf dieser Reise immer die Situtation, dass uns der Autor zuerst die Realität kennen lernen lässt, dann Pedrillos und schliesslich Don Sylvios Feen-Interpretation derselben. Von diesem Punkt an – ungefähr in der Mitte des Romans – wird Wieland seinen Zynismus verlassen. (Wieland ist ja auch als Autor viel zu gutmütig, und er kann seine Figuren nie sehr lange wirklich böse behandeln.) Der Rest des Romans ist nun mehr oder minder tändelnde Liebesgeschichte, die in vielem an den Taugenichts von Eichendorff erinnert. Dieselbe idyllische Kunstlandschaft (“Valencia” – der Ort der Handlung – ist im Grunde genommen nur eine Chiffre wie “Rom” für Eichendorff, die Entfernung und Sehnsucht nach der Ferne signalisiert; Wieland beschreibt die Stadt gar nicht, und auch die umgebende Landschaft besticht durch keinen Realismus), und die Tatsache eben, dass der Held der Geschichte seine Geliebte zwar schon kennt, sie aber völlig falsch einschätzt und am völlig falschen Ort sucht. Daneben ist es auch noch die Geschichte, wie unsere beiden Hauptfiguren, Don Sylvio und Pedrillo, von ihrem Feenglauben geheilt werden. Interessanterweise verliert Pedrillo, der den Glauben später erworben hat, ihn auch als erster wieder – und zwar, als die beiden um des Medaillons Willen in eine Schlägerei mit der Dorfjugend geraten, bei der Pedrillo die Hauptlast der Schläge einstecken muss, was ihn davon überzeugt, dass jede anständige Fee, die ihnen hätte gut sein wollen, so etwas verhindert hätte, und es demzufolge keine Feen gibt – weder anständige noch unanständige. Im Anschluss an die Schlägerei geraten Don Sylvio und Pedrillo dann aufs Schloss der bereits heimlich Angebeteten, wo wir Pedrillo vorläufig aus den Augen verlieren, denn nun geht es um die Bekehrung des Don Sylvio. Die wird nun nicht so handfest ausgeführt wie die seines Bediensteten, sondern argumentativ. Einer der Freunde des Hauses, ein gesetzter, ca. 40-jähriger Mann mit eindeutig aufklärerischem Gehabe, nimmt es auf sich, in der Gesellschaft ein Märchen zu erzählen. Don Sylvio glaubt natürlich den Inhalt, und ist äusserst schockiert, als er erfährt, dass der Hausfreund es aus dem Stegreif erzählt habe. Der Schock geht so tief, dass Don Sylvio alsbald von seinem Feenglauben ablässt – und nun leben sie alle glücklich und zufrieden für den Rest ihres Lebens zusammen, da mittlerweile auch die Tante von ihren seltsamen Heiratsplänen abgekommen ist.

Auch wenn ich den Schluss etwas zynischer gewünscht hätte: Einmal mehr dank Wielands hervorragender Prosa ein Lesegenuss, der mir manchen Abend versüsste.

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