Donna Tartt: Der kleine Freund

Ein 8jähriger Junge wird am hellichten Tag auf einem Baum stranguliert gefunden – und außer dubiosen Verdächtigungen findet sich keine Spur eines Täters. Die Familie des Jungen zerbricht an diesem Mord: Der Vater flüchtet sich in einen anderen Bundesstaat, lebt nur noch für seine Arbeit, die Mutter begibt sich in eine Traumwelt aus Psychopharmaka und verdöst sediert ihr Leben.

Zwölf Jahre nach diesem Vorfall beschließt die kleine Schwester des Toten, zum Zeitpunkt des Unglücks noch ein Baby, diesen Mord aufzuklären, studiert Zeitungsausschnitte und glaubt tatsächlich, eine Spur gefunden zu haben. Einer der Söhne der Ratliffs, einer heruntergekommene, weißen Familie, in der rohe Gewalt herrscht und deren Mitglieder sich durch Drogenhandel über Wasser halten, ging mit Robin, dem Opfer, in die gleiche Klasse und erweckt ihren Verdacht. So beginnt eine kriminalistische Erkundungstour, durch die Harriet, die Zwölfjährige, in die dunklen Machenschaften der Ratliffs hineingezogen wird – und die mit einem dramatischen Showdown endet, ohne aber der ursprünglichen Absicht einer Aufklärung des Mordes näherzukommen.

Der Plot ist fragwürdig und eine Art Vorwand für die ausführliche Schilderung des Lebens in den Südstaaten. Das Verhältnis von Schwarzen und Weißen, wirtschaftliche Probleme, die Aussichtslosigkeit eines sozialen Aufstiegs, die Beschränktheit eines christlichen Landlebens werden hingegen sehr eindrucksvoll geschildert (so in etwa stellt man sich das Umfeld eines George W. Bush vor), anhand der Beziehung zwischen Harriet, ihrer Schwester und der schwarzen Haushälterin Ida wird die Problematik des bezahlten Mutterersatzes aufgezeigt (dass die Entlassung Idas eine emotionale Katastrophe für die Mädchen darstellt bleibt der Mutter weitgehend verborgen). Und auch die Schilderung der heranwachsenden Harriet ist weitgehend stimmig und gelungen wie auch die Welt der Ratliffs zwischen Alkohol, Gewalt und Verbrechen durch subtile Charakterisierung der einzelnen Familienmitglieder beeindruckt. Dazu die überkommene, verlorene Welt der Großmutter und Großtanten der Mädchen, das Träumen und Schwelgen in längst Vergangenem, Erinnerungen an eine vermeintlich bessere Zeit, Verklärung des Gewesenen.

Aber die Verknüpfung von Mord und der Schilderung gesellschaftlicher Umstände gelingt nicht: Dass keine Lösung erfolgt bleibt dann doch unbefriedigend und wirft die Frage auf, wozu den diese kriminalistischen Ingredienzien überhaupt eingefügt wurden. So entsteht eine eigenartige, unstimmige Melange zwischen einer Familiensaga mit sehr gelungenen Passagen und einem sperrigen Handlungsgerüst, das sich kaum oder nur mühsam in das Buch fügt.

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