Mark Twain: A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court

Die Lektüre dieses Buchs kommt für den aufmerksamen Leser einem Ritt über den Bodensee gleich. Wo immer man hinschaut, wo immer man festen Boden unter den Füssen zu haben glaubt: Plötzlich fängt er ganz leise an zu vibrieren, zu wackeln.

Das fängt schon bei der Hauptfigur an, dem Connecticut Yankee. Man hört hin und wieder, in diesem Roman hätte Mark Twain eine Satire auf das Mittelalter geschrieben, indem er dem rückschrittlichen 6. Jahrhundert des Königs Arthur den fortschrittlichen Amerikaner des ausgehenden 19. Jahrhunderts gegenüber gestellt habe. Nichts könnte falscher sein. Ja, König Arthurs Welt ist rückschrittlich; aber da, wo sie am rückschrittlichsten ist, ist sie ein genaues Abbild von Mark Twains eigenem 19. Jahrhundert: Die Behandlung der Sklaven und auch der Freisassen (also der armen Bauern) ist – und Mark Twain wusste das wahrscheinlich sehr gut – vollkommen anachronistisch. So handelte das 19., aber nicht das 6. Jahrhundert.

Mark Twain gilt als Humorist und dieser Roman als komisch. Auch das stimmt beides nicht. Wohl gibt es ein paar komische Szenen in diesem Buch, aber gerade zum Beispiel bei der oben angedeuteten Schilderung eines Zuges von Sklaven durch Alt-England bleibt einem jedes Lachen im Halse stecken.

Doch auch der Erzähler, der Connecticut Yankee, ist keineswegs eine leuchtende Strahlefigur. Dass er überhaupt diese Zeitreise macht, liegt daran, dass er als Chef einer Produktionsabteilung im ‘modernen’ Connecticut einen seiner Vorarbeiter mit roher Gewalt zur Raison bringen wollte, und der gnadenlos zurück und den Chef besinnungslos schlug. Im 6. Jahrhundert erweist sich das Leben für ihn als ebenso gnadenloser Kampf ums nackte Überleben. Nur sein überlegenes naturwissenschaftlich-mathematisch-technisches Wissen erlaubt ihm, gegenüber seinem Erzfeind Merlin die Nase immer ein Stück weiter vorn zu haben. Er ist auch ein Grossmaul, denn, wenn es darum geht, dass auch er auf Queste ziehen soll, tröstet er sich damit, dass er festgestellt hat, dass mittlerweile schon die Nennung seines Namens genügt, um alle Ritter und Riesen in die Flucht zu schlagen. Doch als er bei Arthurs Schwester Morgan le Fay zu Besuch ist, und sich wieder einmal daneben benimmt und sein grosses Maul nicht halten kann, will sie ihn (den ihr unbekannten Bürgerlichen!) sofort in ihre Kerker stopfen. Ihm fällt das Herz in die Hosen, und er nässt sich beinahe ein. Nur seine Begleiterin, die er der Kürze halber “Sandy” nennt, behält die Ruhe, und warnt Morgan le Fay davor, Sir Boss in den Kerker zu werfen, weil der sich fürchterlich rächen werde. Obwohl er sich selber noch beim Aufbruch genau dieses Mittel als Ausweg aus allen kritischen Situationen vorgehalten hat, bewundert Hank Morgan (so heisst der Connecticut Yankee mit bürgerlichem Namen) seine Begleiterin grenzenlos dafür, dieses Mittel aus der ansonsten für ihn tödlich endenden Situtation gefunden zu haben.

Doch der Connecticut Yankee müsste keine Yankee sein, wenn er sich nicht mehr zum Ziel gesetzt hätte, als ein paar adlige Damen aus dem Schloss eines Riesen zu retten; insbesondere, weil die adligen Damen sich schlussendlich als Schweine entpuppen und die Riesen als deren Hirten. Nein, Hank Morgan ist Idealist und will das 6. Jahrhundert retten, es mit allen Mitteln seines technischen Wissens und Könnens (und dieses ist wahrlich riesig – er kann so ungefähr alles herstellen, was das 19. Jahrhundert an Instrumenten geschaffen hat: die Dampfmaschine, das Telefon, den Revolver…) direkt ins 19. überführen. Das scheint ihm auch fast zu gelingen, selbst die Sklaverei kann er abschaffen.

Doch der Connecticut Yankee hat einen grossen Gegner – und der ist nicht Merlin. Es ist die (katholische) Kirche. Lange kann er sie in die Schranken weisen; aber im Finale des Romans schlägt sie zurück. Hank Morgan ist faul und unaufmerksam geworden; er hat Sandy geheiratet und ein Kind mit ihr gezeugt. Die Liebesaffäre zwischen Sir Launcelot und Arthurs Gattin Guenever bildet den äusseren Anlass. Ihre immer noch überlegene Technik erlaubt es Sir Boss und seinen Getreuen, sich in Sicherheit bringen zu können. Dank eines elektrischen Zauns um den Rückzugsort kann kein Feind eindringen – aber sie können auch nicht heraus, und müssen qualvoll verhungern. Denn an Nahrungsmittel hatte keiner gedacht vorher.

Aber einer wird nicht vom Hunger besiegt. Eine alte Frau, die plötzlich auftaucht, versetzt Sir Boss in einen nicht mehr enden wollenden Tiefschlaf. Die Frau entpuppt sich als Merlin; und so hat die alte Zauberei, über die sich Hank Morgan immer lustig gemacht hat, zum Schluss doch das bessere Ende für sich. Spätestens hier wankt das Eis über dem Bodensee für den Leser beträchtlich.

Mark Twain entpuppt sich selber als der Idealist, der seine Ideale nicht verwirklichen kann, weil die reaktionären Kräfte letztlich zu übermächtig sind, und dem nur von Zeit zu Zeit ein makaber-satirisches Grollen bleibt. Samuel Langhorne Clemens, der sich Mark Twain nannte, ist in vielem eine Art Zerrbild von Sir Boss. Er ist der Südstaatler, der sich in den Norden gerettet hat, aber letzten Endes mit der Mentalität der Yankees doch nicht zurecht kommt. Kein Wunder, ‘flüchtet’ er sich in Reisen nach Übersee. Er ist fasziniert von der modernen Technik, wenn er sich aber hinein mischt, gerät es ihm zum Desaster. Eine Druckmaschine mit neuer Technik entpuppt sich als Fiasko – für Clemens auch als finanzielles Fiasko, weil er es sich in seiner altmodischen (südstaatlichen!) Ehrenhaftigkeit nicht nehmen lassen will, für die Schulden aus dem Fiasko persönlich grade zu stehen, was er nicht hätte tun müssen. Clemens muss sich in vielem vorgekommen sein wie Hank Morgan, aber auch ohne solche biografischen Details liest sich A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court als beklemmende Dystopie.

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