Lola Shoneyin: Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi

Einmal mehr bin ich im Clinch mit einem Klappentext. Lola Shoneyins erster Roman Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi ist bei der Büchergilde erschienen, in der von Ilija Trojanow herausgegebenen Reihe Weltlese. Der Klappen- und Werbetext verspricht u.a.

eine ungewöhnliche und sehr poetische Sprache, der Wurzeln in der Dichtung liegen.

(Lola Shoneyin hat vor ihrem Roman Lyrik und Kinderbücher veröffentlicht.) Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Übersetzung so schlecht ist, dass alles Ungewöhnliche und Poetische verloren ging, aber: Hier ist nichts derartiges zu finden!

Allerdings ist zu Recht nichts derartiges zu finden. Lola Shoneyins Roman ist eine schonungslose Abrechnung mit der (auf gut Deutsch) komplett beschissenen Situation der Frau in einem schwarzafrikanischen Land, das zufälligerweise Nigeria heisst. Dabei leben diese Frauen noch nicht einmal unter dem Einfluss radikal-islamischer Terrorgruppen. Der alltägliche, schon immer stattgefunden habende Terror der völlig patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaft auch in den ‘modernen’ Grossstädten genügt. Diese Situation ‘poetisch’ zu beschreiben, wäre ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht aller Geschlechtsgenossinnen von Lola Shoneyin. So ist ihre Sprache durchaus gewöhnlich, je nach Erzähler(in) wird sie sogar vulgär.

Der Witz, den die NZZ finden will, und mit dem Lola Sholeyin das Thema behandelt haben soll, ist bitterste und beissendste Satire, keineswegs gemütlicher Stammtisch-Witz. Der in der NZZ anzutreffende Vergleich mit einer Screwball-Comedy trifft ins Leere, und zeigt nur, dass der durchschnittliche Europäer / die durchschnittliche Europäerin den Umgang tropischer Naturen mit Problemen und Traurigkeit nicht immer fassen kann. (Der Europäer – es ging mir ja genau so – wird im brasilianischen Samba z.B. immer etwas Fröhliches entdecken, auch da, wo der Einheimische ganz und gar nicht fröhlich ist.) Die Rezension der NZZ ist wohl nicht ohne Grund unter dem reisserischen und an Karl May gemahnenden Titel Aufruhr im Harem niedergelegt. Der Blog der ‘Klappentexterin’ wiederum – hier gilt wohl: nomen est omen – lobt ebenfalls die poetische Sprache und bringt als Beispiel ein völlig missratenes Bild, das, weil aus dem Mund einer der Frauen direkt stammend, als völlig missraten in Ordnung ist, aber nicht als Beispiel

eine[r] himmlische Verführung, wie zart schmelzende Schokolade

gelten kann. Im Übrigen hat selbst die Klappentexterin als Frau die Tragik und den alltäglichen Terror, dem diese nigerianischen Frauen unterworfen sind, nicht ganz zu erfassen gewusst.

Mittelpunkt des Romans und erste Sympathie-Trägerin ist Bolanle, eine junge, akademisch gebildete Frau, die sich entschlossen hat, als vierte Gattin in die polygame Ehe des Ishola Alao (gen. Baba Segi – Baba offenbar ein Wort für ‘Vater’) einzutreten. Auf Veranlassung der ersten und ältesten Frau Baba Segis machen diese Front gegen die jüngere und hübschere Nachzüglerin. Sie wird geschnitten, wo es nur geht – geht doch durch N° 4 u.a. die Zahl der Nächte pro Woche zurück, die die Frauen mit Baba Segi verbringen dürfen, womit zugleich ein körperliches Bedürfnis wie ein sozialer Status leiden. Doch ihre Taktik wird auf die drei zurückfallen. Bolanle nämlich bleibt auch nach längerer Zeit in dieser Ehe kinderlos, was ihren Status unter den andern Frauen beträchtlich senkt. Somit wäre das Ziel der drei anderen eigentlich erreicht gewesen, aber sie haben nicht mit einem gerechnet: Baba Segi, der weiss, dass er bei seiner akademisch gebildeten jüngsten Frau nicht mit irgendwelchen Schamanen und Zauberern anrücken darf, entschliesst sich, mit ihr in ein Spital zu fahren, wo sie wegen ihrer Unfruchtbarkeit untersucht werden soll. Die Untersuchung bringt allerdings als erstes ans Tageslicht, warum Bolanle überhaupt diese für sie so seltsame Ehe eingegangen ist: Sie wurde mit 15 vergewaltigt, von ihrem Vergewaltiger schwanger und liess abtreiben. Ihre Eltern wussten nichts von beidem. Bolanle fühlte sich aber danach so schmutzig, dass sie hoffte, in dieser Ehe den Schmutz abwaschen zu können. Für Baba Segi ist allerdings diese Auskunft doppelt schmerzhaft: Einerseits kann also offenbar auch Bolanle Kinder bekommen (eine Untersuchung beweist, dass auch die Abtreibung durch eine Kurpfuscherin ihre Fruchtbarkeit nicht verändert hat), andererseits ist es ein Schlag ins Gesicht seiner Männlichkeit, erfahren zu müssen, dass seine junge und hübsche Frau nicht als Jungfrau in die Ehe gekommen ist. Doch es kommt noch härter für ihn: Eine Untersuchung seines Ejakulats zeigt, dass darin keine, absolut keine Samen herumschwimmen. Es kommt zum grossen Show-Down, wo die drei andern Frauen gestehen müssen, dass ihre Kinder (es sind deren mittlerweile sieben) allesamt nicht von Baba Segi sind. Baba Segi bleibt in gut patriarchalischer Manier nur, sich von allen seinen Frauen zu trennen. Dieser Skandal wird dann zwar in extremis verhindert, die Frauen müssen aber zustimmen, dass sie sich von nun an von Baba Segi ins Haus einschliessen lassen, und alle ihre heimlichen Ersparnisse müssen sie auch noch abgeben. Nur Bolanle verlässt ihre Ehe wieder – sie, die sich ihrer Vergangenheit gestellt hat (auch ihre Mutter weiss nun von der Vergewaltigung), ist die einzige, die neu anfangen kann. Somit ist der ganze Roman ein Hohelied auf Bildung und Selbständigkeit der afrikanischen Frau.

Leider ist der Roman von seinem Aufbau her völlig misslungen. Schon nach rund einem Drittel weiss der geneigte Leser, worauf Lola Shoneyin hinaus will, errät die Pointe der Fremdbefruchtung. Lola Shoneyin wechselt immer wieder die Erzählperspektive: Jede der Frauen, aber auch Baba Segi, erhält ihren Text, und dazwischen finden wir auch den klassischen auktorialen Erzählstil wieder. Nur besteht leider kein Grund, warum wir die anfängliche Perspektive von Bolanle verlassen sollten; auch sind gewisse Ereignisse im auktorialen Stil erzählt, die sich besser von einer betroffenen Figur hätten erzählen lassen. Wenn andererseits die Ärzte im Spital das Untersuchungsergebnis von Baba Segis Sperma diskutieren, und zum Schluss kommen, dass dies wohl auf eine Erkrankung des Kindes Ishola Alao an Mumps zurückzuführen sei, und das nächste Kapitel in der Stimme Baba Segis von genau so einer kindlichen Erkrankung erzählt, fühlt sich der geneigte Leser für unmündig gehalten. Man kann auch zu viel erklären in einem Roman.

Fazit: Als Text zur Emanzipation der (schwarzafrikanischen) Frauen durchaus notwendig und gelungen. ‘Poetologisch’ (um einmal ein hochgestochenes Wort zu verwenden), für europäische Lesebedürfnisse, hingegen missglückt.

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