Alfred Russel Wallace: Abenteuer am Amazonas und am Rio Negro

Natürlich habe ich wieder mal am falschen Ende angefangen. Denn Wallace’ Reise den Amazonas hinauf fand bekanntlich früher statt als seine Streifzüge im Malaiischen Archipel, die ich hier bereits vor fast einem Jahr besprochen habe. Allerdings habe ich dieses Mal die Entschuldigung, dass – zumindest auf Deutsch – die komplette Ausgabe von Wallace’ Reisebericht aus Brasilien erst nach dem Reprint erschienen ist – auch 2014 zwar, also im selben Jahr, wie ich den Reprint besprach, allerdings nicht als Reprint sondern als Neuübersetzung bei Galiani in Berlin. Herausgeber ist jener Matthias Glaubrecht, der auch die bisher einzige auf Deutsch erschienene Biografie zu Wallace verfasst hat. (Die ich ebenfalls letzten Sommer hier besprochen habe.)

Den deutschen Titel finde ich zugegebenermassen etwas reisserisch und so gar nicht passend zum zurückhaltenden Engländer, den Wallace darstellt. Er selber hat seinen Bericht einfach A Narrative of Travels on the Amazon and Rio Negro betitelt. Sicher, Wallace hat tatsächlich Abenteuer erlebt, aber selbst da, wo er haarscharf am Tod vorbei schrammt, und das tut er ein paar Mal, ist es für den Leser fast nicht möglich, das zu erraten – es sei denn, er hätte schon vorher Glaubrechts Biografie gelesen.

Wallace hält sich mehr bei den täglichen kleinen Kümmernissen seiner Reise auf: Bei der Schwierigkeit, kundige Lotsen auf dem Amazonas zu finden, oder überhaupt Indianer, die bereit sind, seine Boote zu rudern. Auf wirklich wilde Indianer trifft Wallace kaum, höchstens auf halbzivilisierte. Die grösste Gefahr, der er tatsächlich nur knapp entkommt, ist eine Infektion durch Spulwürmer, die unter seine Zehennägel dringen und ihn schwer erkranken lassen. Seine eingeborenen Begleiter pflegen ihn und bringen ihn wieder zurück in zivilisierte Gegenden Brasiliens. Der Mensch Wallace überlebt; der Forscher Wallace zahlt einen teuren Preis: Weil er seine Indianer nicht richtig überwachen kann, trinken diese den Spiritus, in dem er seine Trophäen konservieren wollte – mit dem Resultat, dass das meiste davon verfault und nicht nach Europa mitgenommen werden kann. Dabei wollte und musste Wallace seine Reise dadurch finanzieren, dass er Trophäen an englische Sammler verkaufte. Doch es erging Wallace noch schlimmer: Kaum halbwegs hergestellt, nahm er ein Schiff zurück nach England. Er setzte alles auf eine Karte und nahm alle seine lebendigen und toten Trophäen mit aufs selbe Schiff. Und das Schiff – verbrannte mitten im Ozean. Wallace verlor praktisch alle lebenden und toten Tiere, alle Notizen und Zeichnungen.1) Was wir heute als Narrative vor uns haben, ist eine nachträglich aus dem Gedächtnis niedergeschriebene Version seiner Tagebücher. (Dafür allerdings ist Wallace’ Gedächtnis sehr zu bewundern. Er erinnert sich offenbar an sehr viele Details. Und ja: Wallace war lernfähig. Auf seiner Expediton im Malaiischen Archipel pflegte er dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Trophäen zurück nach England zu senden – mit dem Erfolg, dass er da am Ende der Reise ein recht wohlhabender Mann war, was man vom Ende seiner südamerikanischen Expedition nicht sagen kann. Es steht dann auf einem andern Blatt, dass Wallace seinen Wohlstand nicht zu erhalten vermochte…)

Was war nun die Motivation des jungen Engländers? Da ist zum einen seine Sammel-Leidenschaft, die ihn schon in England Käfer und andere Insekten am Laufmeter fangen liess, und die er nun am Amazonas ins Grosse ausleben durfte. Da ist die durch verschiedene Berichte angestachelte Abenteuerlust – zu nennen sind vor allem der Bericht von Charles Darwin (der allerdings mehr oder weniger nur an der Küste Brasiliens entlang dümpelte, nicht ins Interior gelangte) und jener Alexander von Humboldts. Humboldt hat zwar selber den Amazonas nie gesehen. Zu seiner Zeit hatte Portugal seine Kolonie Brasilien noch mit einem strikten Einreiseverbot für alle Europäer versehen. So macht denn auch Wallace in seinem Bericht eine ziemlich grosse Sache daraus, dass er den Rio Negro so weit hinaufgekommen ist, dass er zum Punkt gelangte, an dem Humboldt seinerseits damals umkehren musste.

Im Übrigen finden wir in den Abenteuern am Amazonas und am Rio Negro ein oder zwei Momente, in denen wir sehen, dass es gerade diese Reise war, die in Wallace zum ersten Mal die Frage aufwarf, warum so viele, so ähnliche Arten sich in so engem geografischem Raum tummelten, und doch immer scharf voneinander getrennt vorkommen. Die Evolulutionstheorie war bei Wallace’ Rückkehr 1852 sicher noch nicht fertig, aber ebenso sicher keimte sie schon.

Alles in allem eine lohnende Lektüre für jeden, den die Geschichte der Biologie interessiert und / oder die Geschichte der Entdeckung Brasiliens.


1) Eine merkwürdige Parallele zum Schicksal des Deutschen Sellow, der die Ergebnisse seiner Sammelwut auch nicht auswerten konnte, da er noch in Brasilien in einem Fluss beim Baden ertrank. Auch Glaubrecht weist darauf hin, ich weiss nun nicht, ob das so ist, weil er und ich die gleichen Bücher lesen, oder weil er quasi vom Verlag dazu gedrängt wurde, auf dieses andere Produkt des gleichen Verlags hinzuweisen.

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