Hans Henny Jahnn: Liebe ist Quatsch. Briefe an Ellinor

Ellinor war Hans Henny Jahnns Frau; und der Grund, warum ich dieses Buch gekauft habe, ganz einfach der, dass ich mich fragte, wie ein Autor, der so seltsam-wundersam sich hinterfragende Liebhaber schilderte, vor allem im Epilog zu Fluss ohne Ufer – wie so ein Mensch also im Privaten denn die Rolle des Liebhabers gestaltete. Wie kann es sein, dass sich ihr Autor, der sich ja mehr oder weniger offen zu seiner eigenen homosexuellen Seite bekannte, ein Leben lang an eine Frau binden kann, offenbar ohne dass das eine reine Zweck-Ehe war? Und wie war das mit Ugrino, der Glaubensgemeinschaft, die Jahnn zu stiften mithalf?

Liebe ist Quatsch bringt nur eine Auswahl aus dem Briefwechsel Jahnns. Erschienen 2014 bei Hoffmann und Campe, herausgegeben von Jan Bürger und Sandra Hiemer, kommt in diesem Buch nur Jahnn selber zu Wort; seine Frau, seine Tochter bestenfalls in einer Anmerkung, wo aus ihren Briefen zitiert wird. Das ist in vieler Hinsicht unbefriedigend, wer also mehr über Jahnn und seine Familie wissen will, tut sicher gut daran, den kompletten Briefwechsel in der sog. Hamburger Ausgabe von 1994 zu lesen.

Nach diesem sollte es klar sein, dass Liebe ist Qautsch meine Fragen nicht beantwortet hat. Der junge Jahnn, schon seit der Realschule mit Gottlieb Friedrich Harms befreundet, woraus sich eine Beziehung entwickeln sollte, heiratet die ein Jahr ältere Ellinor Philips im Jahre 1926, nachdem Ellinor und Harms (!) schon 1925 zusammen die Schweiz und Italien bereist hatten. Es scheint sich hier um ein echtes Ménage à trois gehandelt zu haben. Nichtsdestotrotz heiratet Harm 1928 Monna, die Halbschwester Ellinors. (Ob  sich das Ménage à trois nun in ein Ménage à quatre ausgeweitet hat, entzieht sich meiner Kenntnis.) Die Kinder der beiden Paare kommen 1929 in einem Abstand von nur 14 Tagen zur Welt. Bereits 1931 stirbt Harms.

So viel zu den nackten Zahlen. Die Beziehung zwischen Ellinor und Henny (wie er sich in seinen Briefen immer nennt) war offenbar keine einfache. Es scheint sich bei dem, was sie zusammenhielt, um echte Liebe gehandelt zu haben. Beide scheinen sich die Freiheit auch zu andern Beziehungen gelassen zu haben. Dennoch (oder deswegen?) war es für beide offenbar nicht immer leicht. Grosse Teile ihres Lebens verbrachten sie voneinander getrennt, indem vor allem Ellinor auf das Gut aufpassen musste, das in ihrem Namen in Dänemark gekauft worden war, und das die beiden durch die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland gebracht hatte. Auch dieses Gut bereitete den beiden immer wieder Kummer, und so drehen sich die Briefe Jahnns viel mehr um die ökonomischen Probleme, die das Paar hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Jahnn wieder in (West-)Deutschland Fuss zu fassen; dafür war es wichtig, auch als vom Dritten Reich verfolgter Künstler zu gelten, nur schon, um enteignetes Besitztum wieder in Anspruch nehmen zu können. Das war für Jahnn nicht einfach, der sich nie offiziell vom Dritten Reich distanziert hatte, ihm einfach aus dem Weg gegangen war, und deshalb auch auf keiner Liste zu finden war. Wir erfahren in den Briefen nach 1945 mehr über Jahnns Rehabilitations-Versuche als über die Beziehung der beiden Eheleute, die offenbar gerade in jener Zeit aus verschiedenen Gründen arg belastet war.

Was Ugrino betrifft: Ellinor wurde Mitglied, aber viel mehr erfahren wir kaum. Eher schon über den Ugrino angeschlossenen Verlag, der vor allem alte barocke Musik neu verlegte. Die Lieblings-Komponisten der Protagonisten von Fluss ohne Ufer waren offenbar auch die von Hans Henny Jahnn.

Eines jedenfalls ist mir klar geworden: Nicht nur, dass viele Schilderungen in Fluss ohne Ufer einen realen Hintergrund haben (Jahnn war zum Beispiel diverse Male mit Harms in Norwegen, hat auch dort mit ihm gelebt), auch die Kompliziertheit der Reflexionen, die Jahnns Liebhaber an sich haben, entspricht offenbar Gedankengängen des Autors, der sich ähnlich kompliziert zu Menschen seiner Umgebung äussert. Last but not least: Die wirtschaftlichen Umstände des Paares müssen über längere Zeit, wenn nicht fast ihr ganzes Leben lang, sehr bedrückend gewesen sein.

Alles in allem ist das schmale Bändchen eher ein Appetit-Anreger als eine vollständige Mahlzeit. Allerdings gebe ich zu, dass mein persönlicher Appetit auf Jahnn vorläufig gesättigt ist.

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