Dante Alighieri: Das Gastmahl. Zweites Buch

Literaturanalyse, Selbstanalyse, Literaturinterpretation und sogar eine Kosmologie – das alles findet sich im Zweiten Buch von Dante Alighieris Gastmahl. Natürlich dürfen wir uns keine Literaturinterpretation, -analyse oder -kritik im heutigen Sinn vorstellen. Dante orientiert sich in seinem Werk an der scholastischen Vorgehensweise der Bibel-Exegese, sowohl, was die Form betrifft (er folgt den universitären Gepflogenheiten und der üblichen Logik seiner Zeit), als auch, was die Methode betrifft (indem er auch für seine Canzone die Lehre vom vierfachen Schriftsinn voraussetzt – wobei er neben dem wörtlichen vor allem den moralischen Schriftsinn ins Zentrum stellt).

Die Canzone, die Dante im Zweiten Buch bespricht, ist jene, die mit Voi che 'ntendendo il terzo ciel movete (Ihr, die ihr denkend den dritten Himmel bewegt) anfängt. Schon der Beginn gibt also Gelegenheit für Dante, sich in die Kosmologie des Spätmittelalters zu vertiefen. Doch das ist nur die Eröffnung. Die Canzone dreht sich – gemäss Dantes Eigeninterpretation – vor allem darum, dass ihm im Verlauf der Zeit seit Beatrices Tod, eine andere Frau erschienen ist, die ihn über den Verlust der Geliebten getröstet hat. Diese andere Frau ist keine aus Fleisch und Blut, sondern die Dame Philosophie. Sofort fällt einem bei diesem Thema der spätantike Philosoph Boëthius ein, der, von Theoderich zum Tode verurteilt, seinen Trost in der Philosophie fand. (Man war zu Dantes Zeit offenbar wenig beeindruckt durch die Tatsache, dass Boëthius, obwohl nominell Christ, seinen Trost nicht in Gott fand, sondern in der antiken, heidnischen Philosophie.) Boëthius wird von Dante denn auch fleissig zitiert, und mit ihm ein anderer Heide, Cicero. Hier ist es vor allem dessen Laelius de amicitia (Laelius über die Freundschaft), das Dante immer wieder erwähnt. Dante nimmt die ethische Grundlage seines Gastmahls für einmal also nicht direkt aus Aristoteles, sondern vermittelt durch diesen römischen Eklektiker.

Im Ganzen ist zu sagen, dass Dante Alighieri wohl tatsächlich durch die Philosophie aus seiner Depression nach dem Tode Beatrices und dem gegen ihn verhängten Florentiner Todesurteil gerettet wurde. Das geschah zwar kaum auf die poetische Art und Weise, die die Voi che 'ntendendo il terzo ciel movete suggeriert, aber die Beschäftigung mit philosophischen Fragen hat ihm offenbar Halt zu geben vermocht.


Wie immer gelesen in der Ausgabe der Philosophischen Werke, herausgegeben unter der Leitung von Ruedi Imbach. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1996. (= Buch II von Band 4)

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