Jean Anthelme Brillat-Savarin: Physiologie des Geschmacks

“Physiologie des Geschmacks” wurde zwischen 1800 und 1825 verfasst, 1826 nach dem Tod des Autors veröffentlicht. Es ist das Werk eines Amateurs im besten Sinne. Kein Kochbuch, obwohl auch ein paar Rezepte dabei sind. Kein medizinisch-wissenschaftliches Buch, obwohl auch dazu Bemerkungen zu finden sind. Kein Benimmbuch für Gastgeber und Gäste, obwohl sich Brillat-Savarina auch dazu äussert. Brillat-Savarin war Jurist und Richter, zwischendurch auf der Flucht vor den Schergen der Französischen Revolution, dann aber wieder in Amt und Würden in seinem Heimatstädtchen nahe der Schweizer Grenze. Der Titel der deutschen Übersetzung von 1864 “Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen” erfasst den Inhalt ziemlich genau. Es handelt sich um mehr oder weniger systematische Betrachtungen, die entfernt an Montaigne erinnern. Allerdings fehlt das Introspektive Montaignes, dafür ist das Anekdotische und Aphorisitische noch ausgeprägter. Eine vergnügliche Lektüre für alle, die gern und gern gut essen. (Essen! Nicht fressen! Brillat-Savarin unterscheidet den Fresssack vom Gourmet und gibt auch Tipps, wie man seine Figur verbessern oder halten kann. Tipps, die auch nicht besser oder schlechter sind, als was Diät-Ratgeber bis heute von sich geben.) Auch das Trinken kommt nicht zu kurz. Vergnüglich auch zu lesen, wie Brillat-Savarin über relativ neue Errungenschaften des Tafelwesens sich noch freuen kann: den Zucker, exotische Früchte, Kaffee. Er experimentiert mit Zubereitungsarten – soll man den Kaffee mahlen oder die Bohnen mit dem Mörser zerstossen? (Brillat-Savarin votiert für letzteres, was mich dazu bringt, dass ich dies sicher mal selber ausprobieren will.) Brillat-Savarin ist m.W. auch der erste, der darauf hinwies, welche wichtige Rolle die Nase beim Erfassen des Geschmacks eines Nahrungsmittel spielt. Oder der Speichel.

PS. Eine kleine Korrektur an Wikipedia: Der berühmte Aphorismus heisst ganz besser übersetzt: “Ein Dessert ohne Käse ist wie eine schöne Frau mit nur einem Auge.” Brillat-Savarin würde Wert auf den Unterschied legen …  ;)