D. H. Lawrence: Sons and Lovers [Söhne und Geliebte]

1913 in gekürzter Fassung zum ersten Mal veröffentlicht, erst 1992 in ganzer Länge. Ich habe den Roman nun in der Fassung von 1992 gelesen.

Dass 1913 Sons and Lovers nur gekürzt erschien, hatte verschiedene Gründe. Da war zum einen die für damalige Zeit recht grosse sexuelle Explizität, die sich Lawrence erlaubte. Wichtiger allerdings waren verlegerische Gründe: Es war damals ein verlegerisches No-Go, einen Roman von rund 500 Seiten zu veröffentlichen (“Die Leser wollen so was nicht!”); das Maximum waren so deren 400. Dazu kam, dass der Verleger, der Sons and Lovers dann schliesslich übernahm, nicht begriff, weshalb Lawrence das frühe Leben der Morel-Kinder so ausführlich schilderte. All dies führte zu massiven Kürzungen, die Lawrence hinnehmen musste, weil er das Geld dringend brauchte.

Die Kürzungen haben natürlich auch den Titel ad absurdum geführt, indem sich der Roman nun völlig auf die Beziehungen von Paul Morel zu seiner Mutter und zu den Frauen konzentrierte. Der erste Sohn der Morels, William, wurde zur Randfigur, während er für Lawrence das erste Ziel der keine Grenzen kennenden mütterlichen Liebe der Mrs Morel gewesen ist. Der Tod Williams führte eine Krise herbei, da Mrs Morel am Sinn ihres Lebens verzweifelte, und erst eine schwere Erkrankung Pauls führte ihre Liebe weg vom ersten und hin auf den zweiten Sohn. All dies nimmt rund das erste Drittel des Romans ein.

Man könnte Sons and Lovers als Entwicklungsroman beschreiben oder als Künstlerroman. Denn Paul Morel, der mittlere Sohn des Bergarbeiterpaars Morel, ergattert sich nicht nur einen Bürojob, der ihn aus der Arbeiter- und Bauernschicht herausheben wird, er ist auch ein begabter Maler. Doch seine Beziehungen zu den Frauen sind schwierig. Auf den ersten Blick ist er ein junger und offener Mann, der auch gern mit den Frauen, die ihm im seinem Job untergeben sind, flirtet. Aber wenn es um eine echte Beziehung geht, tut er sich schwer. Da ist Miriam, eine religiös-schwärmerische Bauerntochter, die er irgendwie liebt, aber doch nicht heiraten will – ja lange Zeit nicht einmal Sex mit ihr hat. Und da ist Clara, die er auch nicht heiraten will, nicht heiraten kann, weil sie es schon ist und nur von ihrem Mann getrennt lebt. Clara ist Suffragete, oder wenigstens etwas in der Art. Tatsächlich droht Paul in eine ähnliche Krise zu stürzen wie sein älterer Bruder William. Auch William konnte sich im Grunde genommen nicht von der Mutter lösen und verlobte sich mit einer Frau, deren intellektuelle Hohlheit er bedauerte und zutiefst empfand, die ihn aber sexuell an sich zu binden vermochte. Paul kann sich ebensowenig wirklich binden – seine einzige Bindung ist die an seine Mutter. Zwar werden keine sexuellen Handlungen zwischen den beiden geschildert oder auch nur angedeutet, aber ansonsten sind v.a. Pauls Worte explizit genug, der sich zu seiner Mutter äussert, wie er es eigentlich zu einer Geliebten oder Gattin hätte tun müssen.

Am Schluss stirbt Mrs Morel nach einem langen Todeskampf. Ähnlich wie Mrs Morel selber nach dem Tod Williams, fällt auch Paul in eine tiefe Depression. Erst ganz zum Schluss berappelt er sich und entschliesst sich, weiterzuleben und sich nicht von der Toten in den Tod ziehen zu lassen.

Man sieht: Freud hätte seine selbige an diesem Roman gehabt, falls er ihn gekannt hat. Die ödipale Bindung an die Mutter – verbunden mit dem hier ebenfalls sehr expliziten Wunsch der jungen Söhne, den Vater umzubringen – ist wohl selten in einem Roman ausführlicher dargestellt worden. Auch wer nicht an Freud glaubt, wird dieses Portrait of the Artist as a Young Man schätzen. Die Schilderungen der Gefühlswelt – nicht nur Paul Morels – machen die Lektüre lohnenswert.

 

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