Neil Shubin: Der Fisch in uns

Ein “Wissenschaftsbuch des Jahres” (wie immer solche Aus- bzw. Bezeichnungen zustande kommen): Im vorliegenden Fall ist Lob aber durchaus angebracht. Shubin betrachtet die Evolution aus zutiefst menschlicher Perspektive, er zeigt anhand des menschlichen Körpers, wie sich diese Entwicklung vollzogen und welche Umwege sie genommen hat, indem er auf unser Erbe aus Zeiten verweist, die von Säugetieren noch nichts wussten.

Shubin ist Paläontologe und hat sich nach eigenen Angaben nur widerwillig von der Wichtigkeit der molekulargenetischen Analyse unseres Erbgutes überzeugen lassen (die Feldforschung mit Rucksack und Spaten war viel eher sein Metier). Er zeigt hier, wie sich beide Richtungen ergänzen, einander bedürfen und weist auf die Bedeutung einer solchen Zusammenarbeit hin. Aber noch viel mehr ist dies ein Buch über die Stichhaltigkeit der Evolution, wobei sich der Autor Seitenhiebe á la Dawkins versagt und einzig den wissenschaftlichen Erkenntnisstand referiert. Was denn manchmal auch ganz angenehm ist, wenngleich ich Dawkins diesbezügliche Bemühungen verstehe – und auch schätze.

Kapitel für Kapitel werden die Organe des Menschen auf ihre Urtümlichkeit, ihre Entstehung für die Wasserwesen des Urozeans hin untersucht, woraus sich einerseits überraschende Erkenntnisse ergeben in Bezug auf diese Genese, zum anderen aber auch der Beweis erbracht wird, dass die Natur durchaus nicht perfekt ist, sondern mit dem vorhandenen Material so gut als irgend möglich auszukommen sucht. Viele unserer Zivilisationskrankheiten sind durch eine unzeitgemäße Ausstattung verursacht, weil die Natur weder unsere Zweibeinigkeit noch unsere sitzende Lebensweise antizipierte (einen Schöpfer, der sich derartige physiologische Unsinnigkeiten einfallen ließe müsste man tatsächlich ans Kreuz nageln). Die Natur war hingegen auf vorhandene Materialien, auf den Umbau eines Körpers angewiesen, der ursprünglich an das Leben im Wasser angepasst worden war.

Und so werden die Geschichte des Riechens, Sehens, Hörens erzählt (dass etwa die Gene für das beim Menschen relative unwichtige Riechen erstaunliche 3 % ausmachen ist eine dieser evolutionären Sonderbarkeiten, wobei die meisten dieser Riechgene mittlerweile funktionslos vor sich hin existieren), die Geschichte der Fortbewegung, die vor der Aufgabe stand, Flossen zu Gliedmaßen umzugestalten, die der Zähne, die für den Paläontologen eine wahre Fundgrube sind, da sich aus ihrer Beschaffenheit recht genaue Rückschlüsse auf die Ernährung ziehen lassen und die der Gemeinsamkeiten, die sich in den Bauplänen der Lebewesen immer noch nachweisen lassen. All das wird mit Witz, geistreich und nicht simplifizierend dargeboten (wenngleich es sich hier dezidiert um ein Sachbuch handelt) und es zeigt sich, dass für die Richtigkeit der Evolutionstheorie keineswegs die oft überbewerteten “missing links” den entscheidenden Beweischarakter besitzen, sondern dass sich ihre Stichhaltigkeit in unzähligen, genetischen, physiologischen aber auch geologischen Fakten erweist (gerade die Geologie könnte die Evolution am leichtesten widerlegen: Ein einziges, in einer falschen Schicht gefundenes Säugetier bzw. dorthin so gar nicht passendes Lebewesen würde dazu reichen: Allerdings haben Millionen Fossilien die Theorie immer nur bestätigt). Ein recht ausführlicher Anhang mit zahlreichen Literaturangaben zu jedem Kapitel rundet das Buch ab: Das eine wunderbare Lektüre für zwischendurch ist.


Neil Shubin: Der Fisch in uns. Frankfurt a. M.: Fischer 2009.

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