Bernhard Viel: Johann Peter Hebel oder Das Glück der Vergänglichkeit

Hebel gehört zu den Autoren, die mich nun schon ein halbes Jahrhundert begleiten. Einige der Geschichten aus dem Rheinischen Hausfreund kann ich fast auswendig. Wenn ich Viel Glauben schenken will, bin ich im deutschsprachigen Raum Teil einer Minderheit. Hebel ist kaum noch bekannt; oft und gern wird er mit Hebbel verwechselt. So ist Viels Biografie (2010 bei C. H. Beck erschienen) auch ein kleiner Versuch der Rehabilitation.

Denn Hebel war zu Lebzeiten (er lebte von 1760 bis 1826) durchaus ein literarischer Star. Seine Alemannischen Gedichte wurden von Goethe hoch gelobt, was seinen Star-Status endgültig zenentierte. Neben der Karriere als Schriftsteller machte der studierte Theologe Hebel noch Karriere als Staatsbeamter: Zuerst wurde er Direktor des Karlsruher Gymnasiums, dann Prälat der badisch-lutherischen Landeskirche, wo er eine Vereinigung der lutherischen mit der reformierten Kirche nicht nur anstrebte, sondern auch erreichte.

All dies – und mehr – wird in dieser Biografie geschildert. Hebel hat nie geheiratet. Mit der grossen Liebe seines Lebens (wenn sie es denn war, ihre überlieferten Briefe sind da sehr, sehr diskret), Gustave Fecht, blieb er sein Leben lang verbunden und wechselte oben genannte Briefe bis an sein Lebensende. Auch Gustave Fecht hat nie geheiratet. Ob das nun, wie von Viel gemacht (und das ist der grosse Wermutstropfen dieser ansonsten makellosen Biografie!), psychoanalytisch gedeutet werden muss, sei dahin gestellt. Wobei es mit dieser psychoanalytischen Deutung ja so weit nicht her ist: Hebel sei sein Leben lang bindungsunfähig gewesen, weil ihm zuerst der Vater starb (Hebel hat ihn nie kennen gelernt), dann mit 13 Jahren verlor er auch seine Mutter, zu der er eine starke Bindung hatte. Dass solche Erlebnisse einen Menschen traumatisieren können, hätte auch meine Grossmutter gewusst, ganz ohne Psychoanalyse. Und dass dieser Verlust tatsächlich zu einer späteren Bindungsunfähigkeit geführt hat, ist unbewiesene Spekulation. Man sollte Verstorbene nicht psychoanalysieren.

Interessanter ist Viels Biografie da, wo er auf Hebels Werk eingeht. Zunächst die Alemannischen Gedichte, die eine enthusiastische Rezension Goethes zur Folge hatten. (Hebel wäre eine Rezension seines Idols Voß lieber gewesen; die erhielt er erst später und nur mündlich – es war die Reaktion eines Stubengelehrten, im Sinne dessen, dass ein genaueres Studium der Versmasse und der alten Dichter nicht schaden könnte. Nein, Viel hat Recht, wenn er meint, dass es für Hebel und für die Nachwelt ein grosses Glück war, dass sich Goethe und nicht Voß zu den Alemannischen Gedichten geäussert hat.)

Was bei den Alemannischen Gedichten nur angedeutet wird, führt Viel bei den Kurzgeschichten aus dem Rheinischen Hausfreund weiter aus. Er verweist auf die Knappheit des Hebel’schen Periodenbaus (Hebel hierin, gemäss Viel, Hemingway ähnelnd – ich finde den US-Amerikaner bedeutend ausschweifender als den Alemannen) und  die daraus resultierende Treffsicherheit der Pointe wird hervorgehoben. Viel macht darauf aufmerksam, dass unter der glatten Oberfläche, die immer wieder betont, dass Gott letztlich das Schlechte nur zulasse, damit noch mehr Gutes geschehen könne, dass unter diesem Idyll immer das Schlechte, Bedrohlich-Böse lauert. Hierin ähnelt Hebel seinem andern Idol, Jean Paul.

Alles in allem, wenn man vom psychoanalytischen Ausrutscher absieht, eine klug geschriebene Biografie, so faktenreich, wie es halt auf 260 Seiten geht (man hätte sich gern das Doppelte gewünscht), und als Hinführung zu Hebels Werk ebenso brauchbar wie als Informationsquelle für den Aficionado.

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