Volker Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen.

München nach dem Ersten Weltkrieg, der letzte Wittelsbacher flieht auf das Land, in dem allgemeinen Chaos formieren sich zahlreiche Strömungen, Parteien und es ist der Zufall, der über Aufstieg und Fall entscheidet. Kurt Eisner ist das Schicksal gewogen (obschon das eine gewagte Behauptung ist, wenn man sein Ende bedenkt), er greift nach der Macht und zu aller (und seiner eigenen) Überraschung gelingt dieser Schritt.

Mit im Bunde sind zahlreiche Intellektuelle, Schriftsteller, Philosophen, Künstler, alle spüren die neue Zeit, den Moment einer großen Veränderung. Man ist begeistert und hingerissen von den Möglichkeiten, die sich hier bieten, man freut sich nach über vier Jahren Krieg auf ein neues, friedliches Leben und man will dieses neue Leben gestalten. Allerdings ist die Naivität der Künstlerphilosophen unübersehbar, sie hängen Idealen nach, Träumen und werden schon alsbald von der Realität eingeholt. Außerdem ist man unter sich zerstritten, Eisner wird von den Sozialdemokraten ebenso angefeindet wie von den sich an der Sowjetunion orientierenden Kommunisten, seine eigene Integrität vermag den ad hoc ausgerufenen Freistaat nicht zusammen zu halten und nach den Wahlen (in der seine Partei gerade mal knapp 3 % erhält) scheint das Abenteuer zu Ende.

Er bereitet sich auf die Machtübergabe vor und wird genau an diesem Tage von einem rechtsgerichteten Adeligen erschossen. Und plötzlich ist es der Eisner aller Bayern, der da getötet wurde, wieder kommt es zu Unruhen, das neu gewählte Parlament weigert sich zusammenzutreten, weil sie sich nicht darauf verlassen können, von der Polizei oder den Soldaten gegenüber Angriffen verteidigt zu werden. Wieder ein Machtvakuum – und wieder kommt es zu einer Machtübernahme “wider Willen”. Diesmal steht Ernst Toller einer neu geschaffenen Räterepublik vor, abermals aber verweigern die Kommunisten ihre Teilnahme und außerhalb Münchens beginnt sich der Widerstand zu formieren, Freikorps und Reichswehrverbände bereiten sich auf die gewaltsame Niederschlagung vor.

Zuvor aber findet der zweite Akt einer Künstlerrepublik statt: Neben Toller werden Gustav Landauer, Silvio Gesell (der “Erfinder” des “faulenden Geldes”: Geld soll nur kurze Zeit seinen Wert behalten, um ständig im Umlauf zu sein und die Wirtschaft anzukurbeln) und nach Franz Lipp (der psychisch krank war und zum Minister des Äußeren berufen wurde, weil sich sonst niemand fand, Erich Mühsam wurde von Toller abgelehnt) Otto Neurath in die Regierung berufen (der allerdings von Weidermann nicht erwähnt wird). Doch dieser bunt zusammengewürfelte Haufen erweist sich als noch weniger regierungsfähig als die Gruppe um Kurt Eisner, es kommt zu einem neuerlichen Umbruch und zur Bildung einer kommunistischen Räterepublik, die schon nach wenigen Wochen von den Reichswehrverbänden zu Sturz gebracht wird. Zahlreiche Erschießungen folgen, insgesamt fordern die Unruhen rund 600 Tote, wobei die Dunkelziffer sehr viel höher liegen dürfte.

Dies alles bildet eigentlich nur den Hintergrund für das Buch Weidermanns: Er spiegelt die politischen Ereignisse in den Äußerungen der aktiv oder passiv involvierten Künstler, zitiert neben Mühsam oder Toller auch Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und Oskar Maria Graf. Dadurch entsteht ein buntes Panorama von Meinungen, die im Grunde die völlige politische Unbedarftheit aller dieser Schriftsteller dokumentiert. Ob es der eher Abenteuern und Trinkgelagen zugeneigte Graf ist oder Thomas Mann, der gerade die “Betrachtungen eine Unpolitischen” veröffentlicht hat und sich damit gegenüber linken Bewegungen völlig diskreditiert hatte (im Tagebuch fühlt er sich plötzlich diesen linken Bewegungen auch irgendwie verbunden) – es sind Dokumente der Hilflosigkeit und Naivität (manchmal auch des Opportunismus), die eine fundamentale, manchmal zum Lachen reizende politische Unfähigkeit demonstrieren. Weidermann gelingt es dabei ausgezeichnet, diesen Hexentanz um Macht und Ideale zu beschreiben, die tragisch-pittoresk anmutenden politischen Gehversuche darzustellen, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren. Aber es ist dies kein Geschichtsbuch, keine umfassende Darstellung der Ereignisse, sondern ein Buch aus der Sicht jener “Träumer”, die die einmalige Chance zur Verwirklichung ihrer Träume gekommen sahen. Eine unterhaltsame aber auch nachdenklich machende Schilderung politischer Phantastereien.


Volker Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen. Köln: Kiepenheuer und Witsch 2017.

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