Peter Noll: Diktate über Sterben & Tod

Peter Noll, Strafrechtsprofessor an der Uni Zürich, erfährt, dass er Krebs hat. Und beschließt, auf die üblichen medizinischen Maßnahmen zu verzichten, um sich nicht einem unwürdigen Leben bzw. einem ebensolchen Tod in einem Krankenhaus, versehen mit den Segnungen der Apparatemedizin, auszusetzen. Bald nach der Diagnose beginnt er ein Tagebuch zu führen, in dem er sein langsames Sterben dokumentiert.

Das könnte interessant, anrührend sein, weil der Leser sich ganz automatisch in eine Situation versetzt fühlt, in der er sein eigenes Empfinden, sein Denken an den eigenen Tod in Bezug setzt zu dem hier Vorgetragenen, indem er sich fragt, was er wohl in dieser Lage für mitteilenswert hielte. Und weil Menschen in solchen Ausnahmesituationen häufig zu konzisen Überlegungen gelangen; Verstellung, Renommieren wird angesichts des Bevorstehenden ein wenig lächerlich, ridikül, obschon es einige geben dürfte, die sich an der prospektiven Nachwelt orientieren und ein geschöntes Bild derselben übermitteln wollen. Von all dem aber ist in diesem Buch nichts zu merken (abgesehen von der Tatsache, dass Noll die Nachwelt nicht ganz egal zu sein schien): Zum einen wird man mit den gesellschaftspolitischen Ansichten des Autors konfrontiert (die banal, zumeist ziemlich dümmlich und in keiner Weise bemerkenswert sind), zum anderen wird ihm das Sterben zum Anlass, auf Sinnsuche zu gehen und beim mehr oder weniger lieben Gott zu landen.

Noll entwirft ein Weltuntergangsszenario, ist der festen Überzeugung, dass der Atomkrieg unvermeidlich ist ebenso wie eine Änderung der Gesellschaftssysteme eine Unmöglichkeit (wir befinden uns in Zeiten des Kalten Krieges). Schuld daran ist “die” Technik (was immer sich Noll darunter vorgestellt hat) und die Intelligenz des Menschen, die er ausschließlich zur Vernichtung anderer Arten oder aber der Konkurrenten einsetzt. Er stellt seine Überlegungen sogar denen Darwins gegenüber, indem er auf eine Gesetzlichkeit meint rekurrieren zu können, die aus der “Höherentwicklung” der Lebewesen ihre zwangsläufige Vernichtung ableitet. Diese Theorie hätte nicht weniger Anspruch auf Wissenschaftlichkeit als die Evolutionstheorie.

Von diesem völligen Nonsens abgesehen (der ihm wohl wichtig und bedeutend erschien: Hätte er ihn doch sonst kaum in dieser Art Testament so ausführlich abgehandelt) wird ihm der Tod Anlass zur Sinnsuche. Aufgewachsen in einem religiösen Elternhaus (der Vater war Pastor) enden diese Gedanken immer wieder bei der Bibel und bei Gott, einer transzendentalen, metaphysischen Macht (denn er ist selbstverständlich ein Intellektueller und legt auch Wert darauf, dies spüren zu lassen), die “irgendwie” (wie auch sonst, wenn’s an die letzten Dinge geht, werden deren Vertreter zwangsläufig ein wenig unklar in ihrer Begrifflichkeit) dann dieses ganze Leben, die ganze Welt in einer Sinnhaftigkeit aufhebt. Selbst ein Weiterleben nach dem Tode erscheint ihm keineswegs unmöglich, immer aber sucht er nach Sinn des Lebens (diese Passagen würden einem 16jährigen gut anstehen) und kann sich mit den nackten Fakten, dass von uns nicht mehr bleiben wird wie vom Haushund oder der zertretenen Spinne, keinesfalls abfinden. Dabei verhält er sich wie beim scholastischen Gottesbeweis: Weil er Gott denken kann (wenn auch nur “irgendwie”) muss es so etwas wie Gott auch geben. Obwohl ihm dann einmal ganz kurz Zweifel an dieser wenig schlüssigen Argumentation kommen.

Noll war mit Dürrenmatt bekannt, mit Frisch befreundet – und vielleicht haben ihn diese Beziehungen veranlasst, sich auch als Autor zu versuchen (dass Frisch seine Diktate gelobt und ihn damit fortzufahren ermuntert hat, führe ich auf die Höflichkeit einem Sterbenskranken gegenüber zurück). Aber er ist keiner, weder ein Autor und noch weniger ein Philosoph. Trotzdem hätte – wie erwähnt – dies ein eindrückliches Buch werden können, wenn Noll sich denn auf sein eigenes Vorhaben besonnen hätte. Aber leider befasst sich nur ein sehr kleiner Teil mit seiner Krankheit, seinen diesbezüglichen Gefühlen: Immer wieder glaubt er hingegen, seine platten und banalen Ansichten in aller Ausführlichkeit darstellen zu müssen. So blieb mir dieser Mensch fast gänzlich fremd und unverständlich: Nichts von all dem würde mich groß beschäftigen angesichts des Todes, angesichts einer so schmal bemessenen Frist. Erst gegen Ende einige Passagen, die ehrlich klangen, die berührten, ansonsten nur pseudointellektuelle Attitüden. Die Tragik eines Menschen, dessen Tod ihm vor Augen steht, veranlasste mich manchmal, ihm allzu große Unsinnigkeiten nachsehen zu wollen. Aber das Fazit fällt trotzdem vernichtend aus: Ein Buch, das zu lesen man sich wirklich sparen kann.


Peter Noll: Diktate über Sterben & Tod. Zürich: pendo 1984.

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