Selina Chönz / Alois Carigiet: Schellen-Ursli

Erinnerungen werden wach … schöne Erinnerungen … Daran, wie ein kleiner Junge mit glänzenden Äuglein das Buch anschaut, es öffnet und die Bilder darin betrachtet, die Verse liest, umblättert, das nächste Bild betrachtet, die Verse liest usw. – rep. ad lib. Es tat sich damals vor dem kleinen Jungen eine völlig neue, bunte und (fast)…

Thomas Mann: Der Zauberberg

100 Jahre werden es dieses Jahr (2024) seit der ersten Veröffentlichung des Romans Der Zauberberg. Der Text polarisierte schon früh. Das lag zunächst einmal daran, dass Thomas Mann in verschiedenen Gestalten des Zauberberg Freunde, Bekannte oder einfach nur Prominente karikierte, was nicht alle Betroffenen schätzten. Der Oberarzt des Sanatoriums, in dem praktisch der ganze Roman…

Plutarch: Von der Ruhe des Gemütes und andere philosophische Schriften

Plutarch war über Jahrhunderte einer der ganz großen, immer wieder zitierten Denker. Rabelais und Montaigne verehrten ihn ebenso wie Erasmus von Rotterdam oder Goethe. Nicht nur Ausschnitte aus seinen heute fast ausschließlich bekannten, so genannten Doppel- oder Parallelbiografien wurden von diesen und anderen fleißig rezipiert und zitiert sondern auch welche aus seinen Moralia bzw. Kleinen…

Sophie von La Roche: Geschichte des Fräuleins von Sternheim

Kann man heute die Geschichte des Fräuleins von Sternheim1) noch lesen? Sollte man sie eventuell sogar noch lesen? Bonaventura (der Nachtwächter und Blogger) verneint die erste Frage in seinem Blog-Eintrag zu diesem Roman kategorisch. Ich muss ihm Recht geben: Wenn man den Roman an Hand der heute gültigen Kriterien für qualitativ höher stehende Literatur beurteil,…

Lukian: Die Götter

Band III der neuen Lukian-Werkausgabe, die seit 2021 im Jahresrhythmus in der Sammlung Tusculum neu erscheint, herausgegeben und übersetzt von Peter von Möllendorff, ist wie seine beiden Vorgänger zweisprachig gehalten: links das griechische Original, rechts die deutsche Übersetzung. Zur Originalversion kann ich nichts sagen; ich bin kein Gräzist. Die Übersetzung klingt elegant und geschmeidig; die…

Jon Edward Lendon: Rhetorik Macht Rom

Lendon ist einer der bekanntesten US-Amerikanischen Althistoriker. Im vorliegenden Buch legt er eine Idee dar, die von einer althistorischen Kollegin in Glasgow, Catherine Steel, folgendermaßen begrüßt wurde: Ich kann es gar nicht erwarten, das Buch meinen Studenten in die Hand zu drücken, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass es sie ermutigt, die Alte Geschichte als…

Theodor Herzl: Altneuland

Dr. Friedrich Löwenberg saß in tiefer Melancholie an dem runden Marmortisch seines Kaffeehauses. Mit diesem Satz beginnt der vorliegende Roman. Früher, erfahren wir im Folgenden, saßen sie zu Dritt an diesem Tisch, doch seine beiden Freunde sind tot – der eine durch Selbstmord, der andere wanderte nach Brasilien aus, wo er von einem Flussfieber erwischt…

Sarah Bakewell: Wie man Mensch wird

Universitätsdozent:innen und Schriftsteller:innen haben eines gemeinsam: Sie müssen regelmäßig mit Publikationen auf sich aufmerksam machen – in einer ersten Phase der Karriere, um bekannt zu werden, dann, um bekannt zu bleiben. Während Universitätsprofessor:innen (zumindest in den MINT-Fächern) den Ausweg gefunden haben, die Arbeiten ihrer Assistent:innen und Student:innen als Co-Autor:innen herauszugeben, bleibt dies anderen verwehrt. Besonders…

B. F. Skinner: Futurum Zwei [Walden Two]

Fangen wir mit dem Titel dieses Romans an: Futurum Zwei. Die Vision einer aggressionsfreien Gesellschaft lautete er in der ersten deutschen Ausgabe von 1970 beim Wegner-Verlag, Übersetzer war Martin Beheim-Schwarzbach. Mit dem US-amerikanischen Originaltitel Walden Two im Titel ergänzt, wurde diese Übersetzung 1972 auch als Rowohlt-Taschenbuch herausgegeben. (Vor mir liegt das 54.-60. Tausend, Oktober 1978,…

Fénelon: Les Aventures de Télémaque [Die Abenteuer des Telemach]

François de Salignac de La Mothe-Fénelon (1651-1715) – im Französischen meist kurz als Fénelon bezeichnet, im Deutschen als François Fénelon geführt (was ungefähr so ist, wie wenn wir den herzoglichen Freund Goethes, Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, einfach ‚Carl Eisenach‘ rufen würden – Fénelon also stammte aus der weit verzweigten und einflussreichen Familie de Salignac. Nach…