Die Geheimhaltung dieser Nachforschungen gelingt nicht ganz: Sowohl Rolands Professor als auch ein betuchter amerikanischer Ash-Forscher, Sammler von allem, was nur im entferntesten mit seinem Dichteridol zu tun hat, bekommen Wind von der Sache und verfolgen die Spuren der beiden. Der Showdown dieser Jagd nach der Vergangenheit führt alle Personen am Grab des Dichters, in dem eine Kassette mit weiteren Schriftstücken vermutet wird, zusammen, die vermuteten Zusammenhänge bestätigen sich und Maud entpuppt sich schließlich als Nachfahrin der geheimgehaltenen Liaison.
Eigentlich handelt es sich hier um eine doppelte Liebesgeschichte: Die vergangene zwischen Ash und La Motte und die sich anbahnende zwischen Roland und Maud, die eigentlich so gar nicht zueinander zu passen schienen. Gespickt ist das Buch mit „Originalschriftstücken“ aus der viktorianischen Zeit: Briefwechsel, Tagebücher, Aufzeichnungen, Dichtungen. Wobei an diesen unzähligen Manuskripten zweierlei befremdlich wirkt: Zum einen schreibt der gefeierte Dichter im selben Stil wie ein jugendlicher Backfisch in seinen Tagebuchnotizen, zum anderen dienen diese ständig auftauchenden Schriftstücke als Kitt bzw. Katalysator der Geschichte. Wenn Byatt zu einer kritischen Stellle im Buch gelangt, taucht ein deus ex machina auf und händigt ihr wieder ein paar Handschriften aus: Das wirkt dann etwas billig.
Die Idee dieser literar-historischen Besessenheit, dieses Lebens in fremden, längst vergangenen Leben hätte zu einem durchaus spannenden, interessanten Roman ausgestaltet werden können: Die Autorin will allerdings zu viel – und erzeugt auf diese Weise Langeweile. Die ironische Betrachtung des germanistischen Alltags, die seltsamen Blüten der feministischen Literaturforschung (ich jedenfalls habe diese Teile aus einer ironischen Perspektive betrachtet, ich hoffe sehr, dass sie nicht ernst gemeint waren), das eigentümlich blutleere Dasein von Universitätsangestellten – das ist manchmal ganz nett, selten aber wirklich unterhaltend. Dazu die endemisch auftauchenden Gedichtfragmente des Liebespaares, die selbstredend metaphernreich-vexatorisch die eigene Geschichte noch mal erzählen, Dinge, die selbst beim geneigtesten Leser eine gewisse Schläfrigkeit evozieren. Es ist schlicht zu wenig Substanz vorhanden, um mehr als 600 Seiten zu füllen – zu wenig inhaltliche Substanz, zu wenig schriftstellerische Substanz. Zu keiner Zeit habe ich den Wunsch verspürt, diese Autorin besser kennenlernen, mehr von ihr lesen zu wollen.
zu „Besessen“ von Antonia Byatt
Vor Jahren habe ich dieses Buch günstig erstanden, und es ist mittlerweile ein „Schatz“ für mich geworden, ein Lebensbuch , was ein Rezensent geschrieben hat. Jetzt in den Zeiten von Corona, wo die Büchereien lange Zeit geschlossen waren, war es schön, dieses wunderbare Buch zu genießen. Davon schreckten mich auch die langen, literaturwissenschaftlichen Abhandlungen nicht ab. Im Gegensatz zu anderen Meinungen kamen mir die Personen durchaus sehr nahe.
Nett, aber wahrscheinlich nicht beabsichtigt oder?
Nein, mitnichten. Typischer Fall einer antizipatorischen Fehlleistung. Danke für den Hinweis.