Du schreibst ja „Am Beispiel …“, daher erlaube ich mir mal eine Antwort, ohne Herrn Wuchterl zu kennen (Wikipedia sagt mir, dass er ein 31er Jahrgang ist und lange als Lehrer gearbeitet hat, am Ende seiner Karriere außerplanmäßiger Professor in Stuttgart. Ich versteige mich also kühn zu der Behauptung: nicht die Speerspitze der Forschung).
Ich kenne ja deine Abneigung gegen alles „Postmoderne“ – ein Begriff, mit dem ich mich immer noch schwertue, den ich immer noch nachschlage, wenn andere ihn benutzen, bzw. der ein bisschen zum Passe-partout geworden ist, hinter dem sich je nach Dekade, in der er verwendet wurde, z.T. diametral Gegensätzliches verbirgt. Deshalb will ich darauf gar nicht rumreiten. Nur so viel: Der einzige „Postmoderne“, der in deinem Text auftaucht, ist Lyotard. Den kann ich nicht verteidigen, aber ich möchte auch sagen: Er ist der einzige (und das möchte ich bitte drei Mal unterstreichen), den ich gelesen habe, bei dem ich die vielzitierte „postmoderne Beliebigkeit“ gefunden habe; er ist aber auch einer, der seine große Zeit (als Provokateur, wobei da andere auch zu seiner Zeit besser waren) lange hinter sich hat und der schon lange nicht mehr im Zentrum der Rezeption steht. Ich finde also – und sage das mit aller Sympathie, die ich, wie du weißt, für dich habe – du machst ein bisschen das, was du Wuchterl vorwirfst: Du baust dir einen Gegner auf, der eigentlich keiner (mehr) ist. Und versuchst mit ihm eine ganze Denkrichtung zu diskreditieren.
Nun kann ich dir aber sagen, dass diese von dir kritisierte Denkrichtung, ebenso wenig so denkt, wie du es skizzierst, wie Wuchterl mutmaßlich das „naturwissenschaftliche Denken“ korrekt beschreibt (wobei auch das ja nicht als so monolithischer Block da steht, aber das nur am Rande). Ich will ein Beispiel geben, das mir in deinem Text zentral zu sein scheint.
Du sprichst immer wieder davon, das irgendwer Lücken des naturwissenschaftlichen Modells mit „Religion und Metaphysik“ füllen will. Für die zeitgenössische Philosophie, wie ich sie kenne, ist das aber keineswegs der Fall. Historisch gesehen, da gebe ich dir recht, findet man einige raunende Denker/innen im Kielwasser des „postmodernen“ Denkens. Aber durchgesetzt haben sich andere Ansätze, die eher kulturell argumentieren (und zu denen ich wirklich gern mal etwas von dir lesen würde). Daher spreche ich auch nicht von „Geistes-„, sondern von „Kulturwissenschaft“. wenn ich über meine Wissenschaft rede.
Kulturwissenschaftlich kann man nun gegen den von dir zitierten Satz von Herrn (?) Wuketits Einiges sagen. Und zwar ganz ohne Theologe zu sein. Wieso sollte es denn klar sein, dass menschliches Verhalten ein Produkt der Evolution ist. Dafür müsste man ja erst einmal schlüssig beweisen, dass Bewusstsein, Verhalten u. dgl. mehr genetisch codiert ist. Das ist bisher wenigstens meines Wissens nicht geschehen. Wenn das aber nicht feststeht, läufst du mit so einer Aussage wenigstens potenziell sowohl in einen offenen Lamarckismus (also in eine Vorstellung, dass auch erworbene Eigenschaften vererbt werden können) als auch in ein extrem mechanistisches Menschenbild hinein (wenn ich Verhalten naturalisiere, sind all diejenigen angeschmiert, die sich nicht konform verhalten, sie sind die Abweichung von etwas, das sich als evolutionär vorteilhaft erwiesen hat). So wie ich dich kennengelernt habe, kann das unmöglich deine Position sein, ich muss hier also etwas falsch verstanden haben.
Ich dilettiere ja nur in der Biologie, aber ich glaube nicht, dass man kulturelle Phänomene wie die soziale Interaktion evolutionär (biologisch) erklären kann. Du kannst mir jetzt sicherlich ein einzelnes Beispiel liefern, bei dem es einleuchtet, aber in der Summe halte ich das für eine abwegige Vorstellung. Es würde darauf hinauslaufen – denn so funktioniert ja die Evolutionstheorie -, dass Individuen, die in ihrer spezifischen Mutation der Umwelt besser angepasst sind, Vorteile etwa gegen Fressfeinde haben. Evolution beruht ja gerade nicht auf bewussten Entscheidungen, sondern auf zufälligen individuellen Eigenschaften, die vom Individuum aber nicht beeinflusst werden können. Ich glaube aber, dass Verhalten etwas mit Bewusstsein zu tun hat, mit Entscheidungen, Prägungen, epistemischen Grundlagen und Diskursen, kurz mit Kultur. Und die wandelt sich oft so schnell, dass ich mit evolutionären Begrifflichkeiten gar nicht weiß, wie ich ihr beikommen sollte. Deshalb muss ich aber wirklich nicht auf Metaphysik oder Religion zurückgreifen.
Noch eine letzte Anmerkung: ich weiß, dass „naturwissenschaftlich“ denkende Philosophen wie Popper von einer immerwährenden Falsifizierbarkeit ausgehen und das sie deshalb also nicht davon ausgehen, dass irgendwann die „Wahrheit“ entdeckt wird. Das verbindet Popper im Übrigen mit einem kulturwissenschaftlichen Denken, das sich ja nicht per se gegen Logik und Falsifizierbarkeit wendet, sondern eben nur gegen Absolutheit. Dennoch sind „naturwissenschaftliche“ Ansätze immer darauf aus, sich einem hypothetischen Ideal anzunähern: Die neue Theorie löst ja immer eine alte ab, weil sie einen „Sachverhalt“ besser zu erklären vermag. Sie teilen dabei also mit dem metaphysischen Denken den Rekurs auf etwas Externes, was unabhängig von der Betrachtung besteht (darum ist Heisenberg auch immer ein so neuralgischer Punkt, weil er ja die neutrale Beobachtung in der Physik bestritten hat).