Hallo Bartlebooth,

die Postmoderne war ja nicht das eigentliche Thema: Obwohl Wuchterl ihr ein ganzes Kapitel widmet (vor allem der „transversalen“ Vernunft von Wolfgang Welsch), sie im übrigen vehement kritisiert.

Ich betrachte die Postmoderne keineswegs als „Gegner“, habe sie aber immer (sofern man sie den tatsächlich definieren kann) als eine indiskutable Position angesehen (die aber in ihrer ursprünglichen Ausprägung sicher schon der Vergangenheit angehört). Trotzdem findet man diese Denkversatzstücke auch heute noch (und häufig in Zusammenhang mit Dingen wie den Gödelschen Sätzen oder der Unschärferelation), die dann als naturwissenschaftlich-logische „Grundlagen“ für die eigene Haltung in Anspruch genommen werden. Indiskutabel deshalb, weil die dort vertretene „Beliebigkeit“ kein Nebenprodukt dieses Denkens ist, sondern ein konstituierendes Moment: Über relativistische Positionen wird entweder der Begriff der Wahrheit gänzlich abgeschafft oder aber es gibt viele Arten von „wahr“, zwischen denen man – angeblich – nach rationalen Kriterien (und die Rationalität wird ja auch teilweise abgelehnt – wie aus dem Lyotard-Zitat ersichtlich – oder wenigstens stark eingeschränkt) nicht mehr entscheiden kann.

Ich sehe allerdings nicht, wie Philosophie oder Wissenschaft ohne den Begriff der Wahrheit auskommen (die wir erreichen können ohne es allerdings mit Bestimmtheit zu wissen). Worüber wir immer uns den Kopf zerbrechen, was immer wir uns vornehmen zu erforschen – immer wollen wir in diesem Denken und Forschen wissen, wie es „wirklich“ ist, wir haben einen Begriff von Wahrheit im Kopf (schon deshalb, weil wir das Falsche oft leichter erkennen können: Lösungen, die sich nicht bewähren, die allen Erfahrungen widersprechen, kontraproduktiv sind). „Gegner“ war mir die Postmoderne insofern, als dass ich in Diskussionen häufig mit wahrheitsrelativierenden Aussagen konfrontiert wurde, wobei mir dann häufig vorgeworfen wurde, dass ich mit „meiner Logik“ das Echte, Essentielle, Tieferliegende (was auch immer) gar nicht erreichen könne. Ich wäre auch gern bereit (gewesen), diese „meine“ Logik gegen etwas anderes einzutauschen: Aber da war nie etwas außer dem Vorschlag, eine Menge koexistierende Vorschläge, Lösungen, Theorien schlicht als gleichberechtigt gelten zu lassen. Nun gibt es aber bessere und schlechtere Problemlösungen, einige Mittel sind weniger gut geeignet einen Zweck zu erreichen als andere. Der Vergleich dieser Mittel kann aber wieder nur über logisch-rationales Argumentieren erfolgen (wenigstens wüsste ich nicht, wie das sonst gehen sollte).

In diesem Zusammenhang ist auch die Heisenbergsche Unschärferelation bzw. die Abhängigkeit vom Beobachter kein Problem: Solange diese Abhängigkeit nicht individuell formuliert wird. Forscher A wird dieselben statistischen Ergebnisse erzielen wie Forscher B: Damit ist die Nachprüfbarkeit, Intersubjektivität gewahrt. Heisenberg ist keinesfalls deshalb ein „neuralgischer“ Punkt für Popper (oder Einstein), weil durch ihn der Beobachter in den Mittelpunkt rückte, sondern aufgrund der zufällig-statistischen Interpretation der Ereignisse. Diese hat nämlich die Aufgabe der absoluten Kausalität zur Folge – und hier liegt das wahre Problem für Popper, Einstein. (Ich habe das Problem im Text wohlweislich vermieden (weil weit abseits führend), nur indirekt flapsig darauf hin gewiesen, das wir mit unserer mesokosmischen Ausstattung nicht alles zu verstehen in der Lage sind.) Und selbstredend sind die Annahmen nicht metaphysikfrei: Das habe ich auch erwähnt. (Zu diesen „metaphysischen“ Annahmen zählt u. a. die Vorstellung einer unabhängigen Außenwelt.)

Ich halte die Postmoderne nicht für eine kritisierbare, philosophische Position, sondern für ein Lebensgefühl (das häufig technikfeindlich ist). Über dieses Gefühl lässt sich nicht diskutieren (es ist da oder nicht da), auch lässt sich nur eingeschränkt darüber diskutieren, ob diesem Gefühl mit einem bestimmten Text adäquat Ausdruck verliehen wurde.

Du schreibst von Lyotard auch als „Provokateur“: Was wohl so zu verstehen ist, dass er eine extremere Position einnimmt als er in Wirklichkeit vertritt. Das will mir aber immer ein wenig wie ein billiger Trick erscheinen, bei Feyerabend war dies ähnlich: Wurde er auf die Unhaltbarkeit einer Ansicht hingewiesen, hat er sie nachträglich als bloß provokativ ettiketiert und sich der Diskussion entzogen. Im übrigen – welche Kulturwissenschaftler hattest du im Sinn (außer Foucault), welche zu lesen sich lohnen würde?

Was deine Ausführungen zu Wuketits betrifft, so vermute ein Missverständnis, eine Art von Irrtum, ein Definitionsproblem (von Kultur) – was auch immer. Du schreibst: „Kulturwissenschaftlich kann man nun gegen den von dir zitierten Satz von Herrn (?) Wuketits Einiges sagen. Und zwar ganz ohne Theologe zu sein. Wieso sollte es denn klar sein, dass menschliches Verhalten ein Produkt der Evolution ist. Dafür müsste man ja erst einmal schlüssig beweisen, dass Bewusstsein, Verhalten u. dgl. mehr genetisch codiert ist. Das ist bisher wenigstens meines Wissens nicht geschehen.“ Menschliches Verhalten ist also für dich (zumindest sei das bislang unbewiesen) kein Produkt der Evolution. Woher aber soll es sonst kommen?? Unser ganzer Körper ist durch die Vererbung, die Gene bestimmt, für spezifisches Verhalten (man denke an die Graugansgeschichten von K. Lorenz) sind wir offensichtlich vorprogrammiert. Und wir können uns insgesamt nur im Rahmen des uns genetisch Möglichen irgendwie verhalten. Wir sind nicht determiniert (das Maß an Freiheit nimmt offenkundig mit „höherer“ Entwicklungsstufe zu), aber wir sind keineswegs völlig frei in unserem Verhalten. Gerade die Entwicklung von Bewusstsein, Geist (nebst verschiedener sprachlicher Derivate) scheint mir bei weitem nicht so rätselhaft wie oft dargestellt (die wirkliche Schwierigkeiten sind wohl im Schritt zu den ersten Replikatoren zu finden).

Schon bei Einzellern lässt sich ein bestimmtes „Verhalten“ feststellen (indem die Bewegungsrichtung über Rezeptoren so ausgerichtet wird, dass sie in Richtung potentieller Nahrung (bestimmter Molekülverbindungen, die eingebaut werden können) weist). Wir haben also schon bei sehr „primitiven“ Lebewesen ein spezifisches Verhalten, entsprechend der Weiterentwicklung der Sinnesorgane (also all der Rezeptoren, die in irgendeiner Weise auf die Umwelt reagieren) verändert sich auch das Verhalten (ansonsten wären „Sinnesorgane“ sinnlos). Wenn man die Entwicklung weiter verfolgt, sieht man bei fast allen Arten die Ausbildung eines bestimmten Sozialverhaltens (innerhalb der Art), das sich offenkundig evolutionär bewährt hat. Die genetische Ausstattung muss ein solches Sozialverhalten zulassen bzw. hat es begünstigt (sonst gäbe es überhaupt kein Verhalten: Das Jagdverhalten eines Fleischfressers muss diesem das Überleben garantierten – und dieses Jagdverhalten ist je nach Art genetisch festgelegt). Wenn wir nun darin übereinstimmen, dass etwa das Jagdverhalten meines Katers Merlin genetisch programmiert ist, dann sollte es ebenso selbstverständlich sein, dass auch dessen Sozialverhalten (das im übrigen sehr zweifelhaft ist – aus menschlicher Sicht) von seinen Genen abhängt. Und wenn das bei einer Katze so ist, so kann ich einfach nicht erkennen, warum es bei einem Menschen anders sein sollte (unsere Herkunft aus dem Tierreich – besser eigentlich – unser Gehören zum Tierreich – ist ja offenkundig). Menschliches und tierisches Verhalten unterscheidet sich nur artspezifisch.

Unser gesamtes Verhalten ist also primär durch unsere Gene bestimmt. Das, was wir als menschliche Kultur bezeichnen, hat also (und damit bin ich bei Wuketits) die menschliche, genetische Ausstattung als Grundlage. (Kultur gibt es im übrigen auch bei Primaten: Schimpansenpopulationen entwickeln regional verschiedene Verhaltensweisen, was etwa den Werkzeuggebrauch betrifft. Diese kulturellen Errungenschaften werden natürlich nicht weitervererbt, sondern weitergegeben – durch Lehren und Lernen). Der Unterschied zur menschlichen Kultur besteht vor allem darin, dass wir durch die Schrift imstande waren, diese Lehr- und Lernkultur über Generationen zu kultivieren, sodass bei uns einmal entwickelte Verfahrensweisen (Fortschritte? – das Wort impliziert so viele falsche Assoziationen, dass ich es lieber vermeiden würde) nicht (oder kaum) mehr verloren gehen.

Ich halte es auch für problematisch, dass Bewusstsein oft als „emergente Eigenschaft“ eines sich weiter entwickelnden Gehirnes bezeichnet wird, da mit dieser Benennung suggeriert wird, dass Bewusstsein etwas spezifisch Menschliches und plötzlich Auftretendes sei. Unsere Tierwelt (mit dem Menschen als dem Tier, dass das größte Gehirn hat) zeigt aber das Gegenteil: Vom Grottenolm und der Weinbergschnecke über Katzen, Schimpansen und Bonobos werden uns verchiedene Stufen von „Bewusstsein“ präsentiert (wobei die Tendenz zu einem größeren Gehirn und damit der Ausprägung dieses Bewusstseins in der Evolution zu beobachten ist): Der Einzeller hat ein anderes Selbstverständnis als der Olm, mein Kater hat aber schon durchaus Persönlichkeit (die individuellen Ausprägungen verstärken sich) – bis hin zu uns Menschen. Aber das, was wir Bewusstsein nennen (etwas, das mit unserem „hochentwickelten“ Gehirn zusammenhängt) ist zum einen selbstverständlich genetisch bedingt (der Bauplan fürs Gehirn finden sich ebenso in den Genen wie der für meine Vorderzähne), zum anderen nichts, was nur uns Menschen in einer irgendwie „wunderbaren“ Form zukommen würde. Unsere Gene erlaubten uns aber ein System zu entwickeln, das generationenübergreifende Erfahrungen vermitteln kann (eben über die Sprache bzw. die Schrift).

Jedenfalls kann ich nirgendwo eine genetisch nicht beeinflusste Kultur entdecken, alle menschliche Kultur ist durch den Menschen – dieser hinwiederum durch seine Gene bestimmt (nicht vorbestimmt: Das größere Gehirn verschafft uns auch größere Unabhängigkeit, größere Flexibilität: Wir haben – im Gegensatz zu Tieren – ein mehr an Reaktionsmöglichkeiten auf Bedrohungen, wobei wir in Extremsituationen noch immer stark determiniert reagieren – was möglicherweise auch ganz gut ist). Dieses mehr an Reflexion hat sich evolutionär bewährt, deshalb sind die ersten „klügeren“ Menschen auch nicht ausgestorben, sondern haben sich weiter vermehrt. Und dies ist auch der Grund, weshalb du davon sprechen kannst, dass deine Entscheidungen „auch“ kulturell bedingt sind: Die Fähigkeit des Relativierens, Erwägens, Nachdenkens etc. sind das Ergebnis unseres Gehirns (und dies ist ein Produkt der Evolution). Und auf diese Weise haben sich auch Verhaltensregeln, Moralkodices entwickelt: Über die Möglichkeit der Zusammenarbeit innerhalb einer Art bzw. in einer Gruppe, die für diese Gruppe vorteilhaft waren (etwa die Befriedigung eines Sicherheitsbedürfnisses in der Gruppe: Man soll sich gegenseitig nicht erschlagen – und wenn doch, hat der Betreffende mit Konsequenzen zu rechnen). Ethik und Moral sind ebenso wenig etwas Transzendentes wie das Jagdverhalten: Sie sind unter bestimmten Voraussetzungen notwendig, um Über- und Weiterleben zu garantieren.

Wir können innerhalb unserer Kultur nur im Rahmen unseres „Mensch-Tier-Seins“ agieren: Und das Gehirn ermöglicht uns eine größere Unabhängigkeit. Der von dir apostrophierte Lamarckismus wird möglich durch die Fixierung und anschließende Weitergabe des „Mems“ (ohne jetzt Dawkins allzu ausführlich bemühen zu wollen), dieser „Lamarckismus“ ist tatsächlich eine Art „künstlicher“ Evolution. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit von Wuketits‘ Diktum: Wir kommen aus der Natur, der Evolution und tun gut daran, das nicht zu vergessen, es auch zu berücksichtigen. Alle unsere kulturellen Überbauten sind durch den Menschen und seine Gene entstanden, durch unser Sein bedingt. Und eine evolutionäre Betrachtungsweise der menschlichen Errungenschaften kann nicht nur in der Epistemologie uns vor Überspanntheiten bewahren (dort aber im besonderen), sondern muss auch den gesellschaftlich-kulturellen Teil umfassen.

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Stellt sich die Frage, ob wir diese Diskussion nicht ins Forum auslagern sollten.