Lieber Herr Eggert!

Die „kritische Theorie“ ist technikfeindlich. Sauvage orientiert sich explizit an Habermasens Unterscheidung der Erkenntnisinteressen (die m. E. auch nicht im mindesten ihrem Anspruch einer „Unterteilung“ gerecht werden: Es zeugt von ungeheurer Engstirnigkeit, das technische Erkenntnisinteresse (und damit das gesamte analytisch-empirische Denken) mit seiner Verwertbarkeit gleichzusetzen). Dass nicht jeder technische Fortschritt der Menschheit zum Wohl gereicht hat, ist trivial: Allerdings hat das nichts mit dem „technischen Erkenntnisinteresse“ (oder der empirischen Forschung) zu tun, sondern mit politischen Entscheidungen; diese hinwiederum müssen im Sinne einer offenen Gesellschaft einer ebenso offenen Kritik unterzogen werden. Das Organon dieser Kritik aber ist eine rational-deduktive Argumentation.

Gerade eine Kritik aber ist im gesamten Buch von Frau Sauvage nicht zu finden: Hier werden Befindlichkeiten (v. a. ihre eigenen) angesprochen und es wird auf ein längst überkommenes, im Jahr 2002 vollkommen veraltetes Gedankengut zurückgegriffen. Niemand hat je (und schon gar nicht vor 15 Jahren) einen so einfältigen, kruden Positivismus vertreten, niemand sich zu der Teilung von Natur- und Geisteswissenschaften im Sinne des 19. Jahrhunderts bekannt. Die Autorin, der man ihr damals noch „jugendliches“ Alter zugute halten kann, war mit einer solchen Analyse schlicht überfordert, ihr fehlten die philosophischen Grundlagen. Aber man sollte dennoch wissen – oder spüren – was man kann (oder besser lassen sollte). Und wer eine derart altkluge Attitüde einnimmt, muss mit den entsprechenen Konsequenzen leben.

Diese Überforderung (nebst Altklugheit) ist im übrigen nicht nur mir aufgefallen: Hier weist Matthias Kroß (zweite Rezension der Süddeutschen) auf den gleichen Punkt hin: „Wissenschaftstheoretisch beschlagene Autoren habe sie sich offensichtlich zu lesen geweigert“. Deshalb wurde das Buch eben nur eine billige Streitschrift, die einfach nur peinlich wirkt, wo sie sich etwa „geisteswissenschaftlich“ (im Diltheyschen Sinne) mit den Problemen der Globalisierung auseinanderzusetzen anschickt (S. 156 ff). (Im übrigen wird auch dort wieder das Loblied auf den Relativismus gesungen, der sich aus der Tatsache, keine Gewissheit erreichen zu können, keineswegs ableiten lässt. Seit Trump wissen auch die Relativisten, warum eine solche Haltung problematisch ist.) Tut mir leid: Die sich durch das gesamte Buch ziehende Simplifizierung wissenschaftstheoretischer Erkenntnisse ist tatsächlich nichts anderes als Stammtischpolemik – nur eben von der Seite anarchisch-künstlerischer Naturfetischisten. (So nebenbei: Gerade die Ökologie bedarf wie kaum ein anderes Gebiet der Forschung, der Technik – und keiner geisteswissenschaftlicher Lebenswelten.)