Hallo P.H.

Ihre Website ist lobenswert und ich habe viele sehr interessante Beiträge gelesen. Doch sie hat leider einen schwerwiegenden Mangel. Ich las auf der Startseite:

«Und weil “littera” bzw. “Literatur” im Grunde genommen alles Geschriebene umfasst…»

Das stimmt – so gesagt – nicht. Literatur umfasst bekanntlich Prosa, Drama und Lyrik. Prosa wird vor allem geschrieben. Drama wird vor allem aufgeführt (aufgeschrieben wird es nur für die SchauspielerInnen und RegisseurInnen, damit sie ein Arbeitsbuch haben). Lyrik wird (von «Lyra» abgeleitet) vornehmlich mündlich vorgetragen, wurde jahrhundertelang nur oral übermittelt (siehe Illias und Odyssee, die erst spät verschriftlicht wurden) und wird auch heute vor allem mündlich verbreitet und vorgetragen.

Literatur zwischen Buchdeckeln (geschriebene Literatur) ist nur ein Teil des ganzen Literaturschaffens.

Ich staunte nicht schlecht, als ich im obigen Artikel über die Zeit nach von Tavel las: «Erst die internationale Protestbewegung von 1968 brachte einen Wandel. Nun war, wer Dialekt schrieb, plötzlich revolutionär. Vor allem Lyrik entstand ab jetzt oft in Mundart.»

Ja, wo bitte sind hier ein Mani Matter, Polo Hofer, Schörä Müller, Kuno Lauener? Sie springen dann schwupps zu Pedro Lenz. Wo sind denn Gölä, Baze, Endo Anaconda, Kutti MC alias Jürg Halter, Manillio, Büne Huber, Steff la Cheffe, Nativ – nur um einige der grossen Mundartdichterinnen und -dichter aus Bern zu nennen?

Deshalb liegen Sie vor dann in Ihrer Spalte «Lyrik» komplett falsch, weil Sie all die Lyrik, die nicht zwischen Buchdeckeln erscheint, also die ganze orale Tradition wie sie live, auf Schallplatte, CD, Spotify, YouTube usw. zu erleben ist, weglassen. Sie befassen sich Euch also nur mit einem (sorry: winzigen) Teil der Lyrik.

Für Ihren hohen Anspruch, den Sie mit Ihrer Website haben, ist diese Schieflage völlig inakzeptabel und zeugt von einer kompletten fachlichen Inkompetenz. Schade, denn wie gesagt finde ich die Website ansonsten super.

Freundliche Grüsse
Stascha Bader