Sehr geehrter Herr Kühnen,
ich wüsste nicht, wo ich für mich in Anspruch genommen hätte, im Besitze „absoluter Wahrheiten“ zu sein (ich sehe mich als konsequenten Fallibilisten). Eigenartigerweise wird diese Form eines radikalen Skeptizismus (dieses „wir wissen es ja auch nicht genau“) immer im Zusammenhang mit Religionen aufs Tapet gebracht; handelt es sich um Waldwichtel oder Quellnymphen, würde man trotz gleicher Beweislage* niemals auf eine solche radikal-philosophische Position zurückgreifen. (Es klingt hier die von Gläubigen oft in Anspruch genommene Umkehrung der Beweislast mit: Aber der Behauptende ist verpflichtet, entsprechende Argumente beizubringen, nicht der an der Behauptung Zweifelnde für seine Skepsis.)
Despektierliche Terminologie? Nur weil ausgesprochen wird, dass es sich beim christlichen Gott um einen archaischen, amoralischen Wetter-, Wind- und Feuergott handelt? Das „Despektierliche“ entsteht doch einzig dadurch, dass diesem Wesen heute noch Anerkennung gezollt wird (was sowohl in moralischer als auch aufklärerischer Hinsicht höchst fragwürdig ist). Handelt es sich hingegen um Nana Burukuru aus der Religion der Yuruba oder Uitzilopochtli (bzw. Vitzliputzli, ein Name, der bei Kindern (empirischer Wert) Interesse an religiösen Fragen weckt), wird auf subtiles, philosophisches Sezierbesteck weit weniger geachtet und auch der radikale Skeptizismus, mit dem der christliche Gott „aus Respekt“ betrachtet wird, ist plötzlich von eingeschränkter Wichtigkeit (weil man denn doch nicht an afrikanische Wassergeister oder aztekische Sonnengötter glaubt). Aber wehe, wenn Jahwe oder die Trinität nicht die gebührende Hochachtung erfahren: Dann ist man respekt- und gefühllos anderen gegenüber oder befleißigt sich despektierlicher Terminologie.
Mit freundlichen Grüßen
scheichsbeutel
*) Die Beweislage in Bezug auf Waldwichtel hat während der letzten Weihnachtsferien eine grundlegende Änderung erfahren, da ich aus berufener (dreieinhalbjähriger, gewitzter) Quelle weiß, dass sich die inkriminierten Wesen auch auf meinem Waldgrundstück aufzuhalten pflegen und von erwähnter Quelle auch in ihrem Tun und Treiben beobachtet wurden. In diesem Zusammenhang (aber nicht gegenüber christlichen Würdenträgern) halte ich von Respekt und Toleranz außerordentlich viel und sehe von eingehender philosophischer Analyse (so wurde das Beobachtungsdatum „Waldwichtel“ nicht durch Intersubjektivität, Wiederholbarkeit gestützt) ab.