Gotthold Ephraim Lessing: Miss Sara Sampson

Schwarzer Druck. Auf blauem Hintergrund mit weißen Punkten (d.i. die Struktur des Leineneinbands) stehen links und rechts ein Teil des Rankenwerks eines Jugendstil-Rahmens, in der Mitte in Jugendstil-Lettern das Wort "Lessing". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Miss Sara Sampson bedeutete 1755 für Lessing den Durchbruch auf den deutschen Bühnen. Er hatte schon vorher einiges an Dramen verfasst, aber mit diesem hier gelang es ihm, den Zeitgeist perfekt zu erfassen und so zu reüssieren. Vor allem empfindsame junge Damen schwärmten von dem Stück (so zum Beispiel, wie wir anlässlich der Vorstellung ihrer Briefe festgestellt haben, Meta Klopstock und ihre in Hamburg verbliebenen Schwestern).

Und empfindsam ist das Stück durchaus. Im direkten Vergleich mit Gellerts empfindsamem Roman Leben der schwedischen Gräfin G*** wird man bei Lessing eine nicht viel kleinere Zahl von „Gräueltaten“ feststellen können – vielleicht sind es pro Buchseite gerechnet sogar mehr. Auch in Miss Sara Sampson finden wir uneheliche Kinder, Mord und Selbstmord – letzteren sogar auf offener Bühne. Wir finden die finster-verstockte Bösewichtin und die unschuldige, tapfer leidende und alles verzeihende Heroine. Die empfindsame Ethik mit dem zum Schluss alles verzeihenden und alles akzeptierenden und deshalb edlen Menschen findet sich auch bei Lessing mustergültig vorexerziert. Mit anderen Worten: Anfangs- wie Endsituation sind bei Lessing ebenso unrealistisch und exaltiert wie bei Gellert.

Doch wenn wir bei Gellert feststellen mussten, dass ein solchermaßen konstruierter Roman praktisch schon zu seiner eigenen Zeit bald kein Publikum mehr fand, geschweige denn heute, stellen wir erstaunt fest, dass Lessings Stück sich noch immer auf den Bühnen hält und auch im 21. Jahrhundert wieder und wieder aufgeführt wird. Woran liegt das?

Der Unterschied von Lessing zu Gellert ist sicher einmal im verwendeten Medium zu finden. Die Gefühle Mitleid und Furcht (wie Lessing die Begriffe eleos und phobos aus der Poetik des Aristoteles ins Deutsche übertrug) kommen auf der Bühne direkt zur Geltung, kein verstandesmäßiges Lesen schaltet sich dazwischen. Anders gesagt: Das Stück kann noch immer zu Tränen rühren. Natürlich spielt auch der Umstand eine Rolle, dass an der Stelle der doch recht hölzernen Sprache Gellerts eine warme und lebendige, das heißt: natürliche, Sprache verwendet wird. Die Gefühle der Protagonist:innen werden nicht nur geschildert, sie werden gezeigt, vorgeführt.

Literaturgeschichtliche interessant ist aus heutiger Sicht noch für der heimliche Held des Stücks: Vater Sampson. Er fühlt sich selber nicht ohne Fehler; er weiß, dass er eine Mitschuld trägt am tragischen Untergang seiner Tochter. Umso eher ist er bereit zu verzeihen. Am Schluss wird er die de facto zur Waise gewordene Tochter der Bösewichtin als ein eigenes Kind annehmen. Und so weist dieses frühe Stück Lessings auch voraus auf sein spätestes: Nathan der Weise.

Ich sollte mir wirklich einmal eine Aufführung der Miss Sara Sampson anschauen …

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