Matthias Wittmann: Oktopia

Schwarz-weiße Grafik von Michèle Ganser, die den Kopf eines Oktopus zeigt und den Anfang seiner Tentakeln vor einem dunklen Hintergrund mit hellen Punkten (fast wie ein Sternenhimmel, allerdings sind Wellen zu erkennen). - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Oktopusse, Kraken, Tintenfische … Matthias Wittmann ist ganz offensichtlich von diesen Kopffüßern sehr fasziniert. Dennoch (oder vielleicht auch deswegen): Ein Buch, bei dem ich nicht so recht weiß, was dazu schreiben, obwohl ich es unbedingt zum Kauf oder zum Ausleihen empfehle – sei es zur Lektüre, sei es, um die Illustrationen von Michèle Ganser zu bestaunen (bzw. ihre Buchgestaltung im Allgemeinen und im Besonderen, also auch die Interaktion von Text und Bild) – so ein Buch fällt mir nicht jeden Tag in die Hände.

Vielleicht liegt es wirklich am Thema. Wittmann nennt den Oktopus in diesem Buch des öfteren einen Gestaltwandler, auf Grund der Tatsache, dass er über keinerlei Skelett verfügt und sich deshalb in engste Spalten und andere seltsamste Orte quetschen kann. So ein Gestaltwandler ist aber auch Wittmanns Text selber. Am ehesten könnte man ihn als kulturgeschichtlichen Essay bezeichnen – wenn da nicht der Umstand wäre, dass Wittmann auch viele Informationen liefert über die Biologie der Kopffüßer oder deren Verhalten. Selbst vor der Informatik macht er nicht Halt: Während bei den Wirbeltieren (also auch beim Menschen) die meisten Nervenzellen, die der Steuerung des Körpers dienen, im Kopf, im Hirn, versammelt sind, sind gemäß unserem Autor bei den Kopffüßern die Mehrzahl direkt in den Tentakeln zu finden. (Wikipedia liefert freilich andere Informationen, aber dort ist auch zu lesen: Besonders stark zentralisiert sind die Nervensysteme von Kopffüßern und Wirbeltieren. Bei ihnen werden sehr viele Funktionen des Nervensystems und der Muskeln zentral gesteuert. Man spricht daher von einem Zentralnervensystem (ZNS). Dieses besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark, die knöchern umhüllt sind. – was spätestens vom Begriff ‚Rückenmark‘ an bei den Kopffüßern nicht zutreffen kann und mich auch gegenüber den vorher stehenden Angaben kritisch stimmt.) Diese Verteilung der Nervenzellen, so Wittmann, ist auch für die Erstellung und Funktionsweise von digitalen Netzen von Interesse. Selbst gesellschaftsutopische Aspekte werden an Hand von Oktopus-Kolonien in alten Wracks angesprochen – deshalb auch der Titel des Buchs.

Ansonsten finden wir in diesem Buch Namen von Wittgenstein, Merleau-Ponty oder Kafka bis hin zu Lovecrafts Chtulhu, Miéville oder den Beatles friedlich nebeneinander versammelt. (Weitere Namen entnehme man den Schlagworten am Ende von diesem Aperçu.)

Hinzu kommen die wunderschönen Bilder von Michèle Ganser, sowie ihr durchdachtes und ebenfalls wunderschön geratenes Layout. (Auf dem vorderen Buchdeckel und dem Buchrücken ist sie als gleichberechtigte Autorin aufgeführt, auf dem Titelblatt allerdings nicht mehr – was der Grund für diese Differenz sein könnte, weiß ich nicht. Sie hat einen sehr großen Anteil an der Qualität und Schönheit dieses Buchs, aber ich halte mich bibliografisch ans Titelblatt.)

Ein Buch auch für welche, die nicht unbedingt Fans von Tintenfischen sind. Sie könnten es werden.


Matthias Wittmann: Oktopia. Mit Illustrationen von Michèle Ganser. Frankfurt/M, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 2023. [Es handelt sich hier um eine Originalausgabe für die Mitglieder.]

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