Margaret Doody: Mord im alten Athen [Aristotle Detective]

Zeichnung: In Tönen von Schwarz, Braun und Gelb, die einen kleinen Wald darstellen, stehen zwei an antike Tempelbauten erinnernde Gebäude. Das Bild soll wohl eine Ansicht vom antiken Athen darstellen. – Ausschnitt aus dem Buchcover.

Aristoteles als Ermittler in einem Mordfall? Hm … Sagen wir so: Irgendwann habe ich den Überblick verloren über die verschiedenen Moden und Strömungen, die die Geschichte des Kriminalromans ausmachen. An den Anfang werden wohl meistens jene scharfsinnigen Ermittelnden gesetzt, die im zeitgenössischen Kontext der Schreibenden mit Scharfsinn und Logik die heile Welt wiederherstellten, deren von allen Seiten kommende Bedrohung im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert man schon nur allzu sehr spürte. Dann folgten wohl die Hard-Boiled Charaktere – Detektive (meistens Männer, glaube ich), die sich selber nicht mehr so ganz korrekt ans Gesetz hielten, aber zumindest letztlich doch noch den Versuch machten, den schlimmsten Übeln der Welt zu steuern. Es entstanden daneben die „Shocker“ und „Thriller“ – Romane, in denen das Abenteuerliche über die Wiederherstellung von „Law and Order“ überhand nahm, bis hin zum Masochisten Bond. Von diesem war es ein kurzer Weg zur, ich glaube, in Schweden erfundenen Art von Ermittlern (und später auch Ermittlerinnen), die selber voller Probleme psychischer, physischer und sozialer Natur stecken, so dass selbst ein Aufklärungserfolg keine heile Welt mehr versprach. Als das langweilig wurde, suchte man sein Heil im Regionalkrimi – heute hat fast jedes Nebentälchen in jedem Gebirge mindestens eine eigene ermittelnde Person. Ob das parallel dazu erfolgte oder nachher, vermag ich nicht zu sagen, aber nicht nur geografisch wurden bald alle möglichen Weltgegenden ausgeschöpft – man begann auch, Kriminalfälle in der Vergangenheit (und seltener auch in der Zukunft – R. Daneel Oliva!) anzusiedeln. E. T. A. Hoffmanns Fräulein von Scudery war für die Vergangenheitsform allerdings ein früher Vorläufer. Da sich das Polizeiwesen in der heutigen Form erst im 19. Jahrhundert auszubilden begann, hatten vor allem Kriminalromane, die früher spielten, die Chance, den Ermittelnden die ausgefallensten Berufe zu geben – wir erinnern uns alle nur zu gut an den Franziskanerpater William von Baskerville …

Die geografischen und historischen Varianten scheinen mir ansonsten eher eine Frucht des 21. Jahrhunderts zu sein. Aber es gibt, wie schon angedeutet, Vorläufer und Ausreißer. So liegt vor mir ein Kriminalroman, der im alten Athen spielt – genau gesagt zur Zeit von Aristoteles und Alexander dem Großen. Die kanadische Autorin Margaret Doody hat ihn noch im 20. Jahrhundert verfasst – er ist 1978 auf Englisch erschienen. Eine erste deutsche Übersetzung gab es 1988 unter dem Titel Sherlock Aristoteles. Dieses Jahr (2025) ist der Roman in einer Neuübersetzung bei Kampa erschienen. Von einer Kurzgeschichte abgesehen, ruhte Sherlock Aristoteles fast ein Vierteljahrhundert lang; erst das 3. Jahrtausend sollte dann sehen, wie die Autorin die Kriminalfälle des antiken Philosophen zu einer ganzen Reihe ausbaute. Sie umfasst unterdessen, wenn ich mich nicht irre, elf Bände – selbst die englischsprachige Wikipedia zeigt nicht alle an. (Die deutschsprachige kennt nicht einmal die Autorin.)

Als ich Mord in Athen in den Neuankündigungen des Kampa-Verlags sah, konnte ich nicht widerstehen. Aristoteles, ein für seine Zeit respektabler Naturforscher und ein scharfer Beobachter, bildet an sich keine schlechte Wahl als Ermittler. Doody hat an verschiedenen englischen und US-amerikanischen Universitäten studiert und gelehrt (Literatur) – da kann man so einiges an Wissen über die Kultur der Antike erwarten.

Tatsächlich ist das „Milieu“ des antiken Athen gut getroffen. Doody erklärt in Fußnoten viele Begriffe, die sie verwendet. Vor allem zu Beginn des Romans führt das allerdings fast zu einer Überhäufung des Publikums. So weit ich es nachvollziehen kann, ist aber die Darstellung des Alltags im antiken Athen korrekt. Die Figur des Aristoteles selber weist in ihrem Äußeren (z.B. die langen, schlanken Finger) und in der Art, wie sie Gespräche führt und ermittelt, durchaus Züge von Sherlock Holmes auf. Ich habe das als Hommage verstanden.

Erzählt wird die Geschichte in Ich-Form von Stephanos, einem Bürger von Athen. Er ist noch jung (gerade mal 22), unverheiratet und doch schon durch den frühen Tod seines Vaters Oberhaupt seiner Sippe. Er stammt aus gutem Haus, gehört aber nicht zum Zirkel der ganz Reichen. Nun ist einer von diesen ganz Reichen ermordet worden, und der Verdacht fällt auf Philemon, einen Cousin des Ich-Erzählers. Da der auch zu seiner Sippe gehört, fühlt sich Stephanos dafür verantwortlich, vor Gericht als sein Verteidiger aufzutreten und dessen Unschuld zu beweisen. Dabei hilft ihm, immer schön im Hintergrund bleibend (als Metöke, also als Nicht-Athener und ohne Bürgerrecht, durfte er sich nicht in Dinge einmischen, die nur die Bürger angingen), der Philosoph Aristoteles. Stephanos hat früher einmal ein paar Vorlesungen bei ihm gehört. Wie es sich für einen guten Detektiv gehört, ist dem Philosophen rasch klar, wer der Mörder gewesen ist und auch das Motiv vermag er heraus zu finden. Dabei hilft ihm Stephanos, der ähnlich wie Watson die Außenarbeit macht und von Zeit zu Zeit dem Philosophen referiert – ohne, genau wie Watson, je wirklich zu merken, was er denn da gesehen und gehört hat.

Wer regelmäßig Kriminalromane liest, wird wahrscheinlich am Ende des Romans auszusetzen finden, dass Aristoteles dem unerfahrenen Stephanos mitteilt, wer der Mörder ist und wie er, Stephanos, deshalb seine Verteidigung zu führen habe. (Solche Verteidigungsreden zu schreiben bzw. zu schulen, war übrigens in der Antike wirklich Stoff des Rhetorik-Unterrichts.) Um zu einem Show-Down vor Gericht zu kommen, muss aber die Autorin ihren Stephanos darüber schweigen lassen, was er gerade erfahren hat. Nachdem der Roman bis dahin elegant und gut aufgezogen worden ist, wirkt das etwas sehr plump. Dass ich von Anfang an den Richtigen im Verdacht hatte (was ich sonst nie schaffe!), sollte mich vielleicht der Qualität der Handlung als Kriminalfall gegenüber misstrauisch stimmen. Aber im Großen und Ganzen habe ich bei Sherlock Aristoteles intelligente Unterhaltung gefunden.


Margaret Doody: Mord im alten Athen [Aristotle Detective]. Aus dem kanadischen Englisch von Christine Frauendorf-Mössel. Zürich: Kampa, 2025.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 22

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