Armen Avanessian (Hrsg.): #Akzeleration

Auf Herausgeber wie Thema dieses kleinen Büchleins, erschienen im Merve Verlag, Berlin, bin ich an der Leipziger Buchmesse aufmerksam geworden, als der Herausgeber vom philosophie MAGAZIN sich mit Armen Avanessian (dem Herausgeber dieses Büchleins) in der philosophischen Leseecke über genau dieses Thema unterhielt. Vorher waren mir, ehrlich gesagt, weder Armen Avanessian noch die Akzeleration ein Begriff, und so ganz verstand ich auch bei den zwei Leuten auf dem Sofa nicht, worum es nun dabei gehen sollte.

Das Büchlein ist eine Sammlung bereits anderweitig veröffentlichter Artikel zum Thema ‚Akzeleration‘. Mit ‚Akzeleration‘ ist nicht das ‚Vorgehen‘ von Uhren, Sternen oder dem Mond gemeint, sondern der physikalische Begriff – d.h., die Gruppe der Akzelerationisten verwendet das Wort, wie es im Englischen oder Französischen verwendet wird, wo es einfach ‚Beschleunigung‘ bedeutet. Aber, gibt es überhaupt eine solche Gruppe? Und, wenn ja: Wer sind seine Mitglieder? Soweit ich das feststellen kann, handelt es sich bei den Akzelerationisten tatsächlich um ein recht kleines Grüppchen linker Intellektueller in Europa. Das Ziel des Akzelerationismus definiert der dem Thema gegenüber kritische Italiener Franco >Bifo< Berardi in seinem Aufsatz Befragung des Akzelerationismus aus Sicht des Körpers, im Abschnitt Die akzelerationistische Hypothese (S. 58 meiner Ausgabe), wie folgt:

Die Hypothese des Akzelerationismus beruht im Wesentlichen auf zwei Argumenten: Erstens auf der Annahme, dass der Kapitalismus durch die immer schnellere Abfolge von Produktionszyklen instabil wird; zweitens auf der Annahme, die im Kapitalismus enthaltenen Potentiale müssten sich notwendigerweise entfalten.

Beide Annahmen sieht Berardi in der Praxis widerlegt: Die erste, weil die Produktionszyklen des Kapitalismus mittlerweile vollautomatisiert ablaufen, elektronisch geregelt sind und also nicht wie ein physischer Körper ermüden können; die zweite, weil Hindernisse und Begrenzungen existieren, die den Prozess der Subjektivierung hemmen und verzerren. Er fährt fort:

Die Immanenz der befreienden Form (die, wenn man so will, Immanenz des Kommunismus, oder die Immanenz einer autonomen Entfaltung des General Intellect) birgt die Möglichkeit ihrer Entfaltung, aber eben nicht ihre Notwendigkeit.

Mit andern Worten: Diese neue Form der Linken will quasi mit Karl Marx auf die Überholspur. Nicht Entschleunigung, wie heute propagiert, sondern eben Beschleunigung. Den Kapitalismus links überholen. Und tatsächlich finden die Akzelerationisten die Anleitung dafür immer noch beim guten alten Marx.

Die Akzeleration scheint mir im Übrigen vor allem im Gebiet der Kunst, und da wieder vor allem auf dem Gebiet des Films am besten entwickelt – da also, wo die Beschleunigung zu einer Form der Wahrnehmung werden kann, und somit zu einer eigenständigen ästhetischen Form. Als politisches Programm bleibt der Akzelerationismus schwammig. Dass sich die Linke die neuen Medien und die neuen Techniken aneignen soll, die vom Kapitalismus entwickelt worden sind (Nick Srnicek / Alex Williams: #Accelerate. Manifest für eine akzelerationistische Politik, S. 21ff), klingt gut, wird aber nicht praxistauglich geschildert.

Alles in allem: Theoretischer und mit marxistischem Vokabular verbrämt, aber ähnliches Gedankengut transportierend wie der (als US-Amerikaner bedeutend bodenständigere) Jaron Lanier. Sandkastenspiele, wie sie europäische Intellektuelle halt lieben. Und, wie so vieles, das sich auf Marx beruft, mit viel Jargon verbrämt. Wenn man den weg nimmt, bleibt immer wenig Konkretes.

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