Jean Paul: Hesperus (II)

Hesperus oder 45 Hundposttage. Eine Lebensbeschreibung gehört zu den Romanen, die ich immer mal wieder lese. Die hier besprochene, vor kurzem beendete Lektüre muss die vierte oder fünfte gewesen sein.1) Anlass für die erneute Lektüre war eine Leserunde im Klassikerforum.

Diese Leserunde zwang mich dazu, einigermassen langsam und aufmerksam zu lesen. So fiel mir auf, dass ich Jean Paul auf eine eigene Weise lese, die ich sonst in diesem Masse bei keinem andern Autor verwende. Ich achte kaum auf den Plot, lasse mich vielmehr von seiner Sprache umschäumen und einlullen, achte vorwiegend auf die satirischen Brocken, die ich mit Genuss verschlinge, und strafe die sentimentalen Stücke mit Missachtung.

Denn Jean Paul ist kein Autor, der es einem leicht macht. Er kann im selben Satz, wenn’s sein muss im selben Wort, Satire und Sentiment verknüpfen. Er ist ein Meister des passenden oder auch unpassenden Vergleichs und kann aus seinem Zettelkasten problemlos entlegenste Analogien ziehen, die er einem Wort, einem Satz, einer Situation angedeihen lässt. Und er ist ein Meister der Digression – der Abschweifung vom eigentlichen Inhalt. Im Hesperus hat er diesen Digressionen Platz in sogenannten Schalttagen gegeben, Tagen (Kapiteln) also, die ihm nicht von seinem unbekannten Gewährsmann übergeben worden sind, sondern von Anbeginn als Abschweifung gekennzeichnet sind. Nur: Jean Paul hält sich – bewusst – nicht an die zu Beginn mit dem Leser getroffene Abmachung, solche Abschweifungen nur in diesen Schalttagen anzubringen, sondern schiebt auch schon mal Schalttage ein, die er als solche erst nachträglich kennzeichnet – damit der Leser sie auch zur Kenntnis nehme und nicht einfach überschlage, wie er als Autor neckisch festhält. Der Roman als Meta-Roman, d.h., als Roman über die Art und Weise, Romane zu schreiben, verdankt Jean Paul wichtige Impulse.

Hesperus war Jean Pauls zweiter grosser Roman, der erste, der ein Erfolg wurde. Ein riesiger Erfolg sogar, gemessen am überhaupt vorhanden Publikum. Ein Erfolg aber auch, den Jean Paul in dieser Grösse nie mehr würde wiederholen können. Stern’sche satirische Quasi-Extempora gemischt mit ebenfalls Stern’scher Sentimentalität, dazu eine einfühlsame Schilderung der Situation der Frau in bürgerlich-gehobener Gesellschaft (denn Jean Pauls Adelshäuser sind nichts anderes als bessere Bürgerhäuser) auf individuell Jean Paul’scher Seite – die Entwicklung eines weiblichen Lesepublikums auf soziologischer Seite, haben je das ihre dazu beigetragen.

Dabei ist der Plot von Hesperus recht simpel. Ein junger Mann kommt in eine kleine Residenzstadt, verliebt sich der Reihe nach in verschiedene junge Frauen, bis er zu der zurückkehrt, die Autor und Leser von Anfang an als die einzig zu ihm passende befunden haben. Platter könnte Trivialliteratur nicht sein. Allerdings – Jean Paul wäre nicht Jean Paul, wenn er seine Plots von A bis Z durchziehen könnte – war das gar nicht Jean Pauls ursprünglicher Plot. Seine Gruppe von jungen Männern, um die sich die Geschichte vorwiegend dreht, sollte durchaus aufklärerisch, ja revolutionär (im Sinne der Französischen Revolution) wirken in jenem kleinen Fürstentum. Teils durch unbeabsichtigte Überwucherung, teils durch gewollte Änderung, ist dieser Aspekt weit in den Hintergrund getretetn. Nur gerade ein Saufgelage der jungen Männer erinnert an die revolutionäre Ausrichtung; eine – gut versteckte – Verteidung seines Freundes Herder gegen Angriffe der Romantiker Friedrich und Wilhelm Schlegel zeigt nicht nur Jean Paul Loylität gegenüber Freunden, sondern auch seine Wurzeln in der Aufklärung.

Zwei der jungen Männer übrigens, einer davon Viktor, der Protagonist, sind als Säuglinge vom als Deus ex machina agierenden Lord vertauscht worden – das Jean Paul’sche (und romantische) Motiv des Doppelgängers aufnehmen.

Die vielleicht beindruckendste Szene des ganzen Romans ist jene beim Saufgelage, wo Viktor sich plötzlich vorstellt, als Leiche auf dem Tisch zu liegen und sich selber eine Leichenrede hält. Da kommt auf einmal Jean Pauls rabenschwarze Seite zum Vorschein, die ihn auch jene Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei verfassen liess. War jene ein Albtraum, den er wieder auflöste, so ist diese Leichenrede hier eine Halluzination im Suff.

Ansonsten bleibt nur zu sagen, dass Jean Paul in der Leserunde etwelche Mühe bereitet hat, was angesichts seines komplexen und oft nicht durchschaubaren Stils, des unausgegornen Plots nicht verwundern dürfte. Jean Paul ist später bedeutend besser geworden – auch wenn die Erstellung und Einhaltung eines halbwegs sinnvollen Plots nie sein Ding geworden ist.


1) Meine Impressionen zu einer vorhergehenden, der dritten oder vierten also, habe ich bereits einmal in diesem Blog festgehalten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert