Raimund Schulz: Die Antike und das Meer

Ausschnitt aus dem Ölgemälde "Consummation" aus der Reihe "The Course of the Empire" von Thomas Cole, 1836. Es zeigt einen belebten antiken Hafen, wie man ihn sich zu Coles Zeit vorstellte: Gebäude mit Säulengängen, antike Segelschiffe (die aussehen wie ägyptische Dschunken) und viele Leute in Togen auf den Boten und am Pier.

Vorliegendes Buch (erschienen dieses Jahr, 2024) ist der legitime Nachfolger des mit Preisen überhäuften Titels Abenteurer der Ferne vom selben Autor. Allerdings glaube ich nicht, dass auch dieses Buch mit so vielen Preisen bedacht werden wird. Nicht, weil es schlechter wäre, sondern einfach, weil es seinem Vorgänger doch sehr ähnelt. Es geht hier abermals um die Wichtigkeit der Seefahrt zu einer Zeit und für Völker, von denen wir noch in der Schule gelernt hatten, dass sie eher wasserscheu gewesen seien. Abermals widerlegt Schulz diese überkommene Ansicht. Und auch dieses Buch hier ist nicht nur inhaltlich sehr interessant, es ist ebenfalls sehr gut geschrieben und ebenfalls großzügig mit farbigen Illustrationen versehen. Das können Gemälde aus späteren Epochen sein, aber auch Fotos von Ausgrabungsstätten, zeichnerische Visualisierungen von heute nur noch als Ruinen erhaltenen Gebäuden / Städten / Stätten, last but not least Landkarten – sowohl moderne wie auch welche, die das damalige Weltbild nachzeichnen. Abermals zerstört Raimund Schulz ein paar Illusionen über Figuren wie zum Beispiel Odysseus. Der war nicht der hehre Held, als den ihn uns die Gräzist:innen des 19. Jahrhunderts und die Gymnasiallehrer:innen des 20. Jahrhunderts dargestellt haben, sondern – ein Seeräuber. So, wie eigentlich alle seine griechischen Kollegen vor Troja (und auch ihrerseits die Trojaner). Denn Seeräuberei bedeutete damals weniger, Schiffe zu überfallen: es wurden vor allem ungeschützte Städte an der Küste ausgeraubt. Weshalb denn ein anderer wichtiger Teil des Buchs die Schilderung umfasst der Vorkehrungen, die eben diese Städte trafen, um solchen Raubzügen entgegnen zu können – ohne auf den Seehandel zu verzichten. (Und ja: Das Problem der Städte war es, dass die Piraten oft zugleich Händler sein konnten und es schwierig war, zu entscheiden, in welcher Funktion sie gerade anzulegen suchten.)

Das Buch von 2024 hier konzentriert sich zeitlich wie örtlich mehr als sein Vorgänger. Zwar war schon dort das Mittelmeer Zentrum bzw. Ausgangspunkt der verschiedenen Seereisen, aber das hat sich hier noch verstärkt: Mit dem im Titel angesprochenen Meer ist fast auschließlich das Mittelmeer gemeint. Auch der besprochene Zeitraum, der im Vorgänger von der Bronzezeit bis zu den Reisen des Kolumbus ging, ist hier auf das eigentliche Fach des Autors eingeschränkt: die Antike. Homer zwar, auf dessen beiden Epen Schulz sich zu Beginn des Buchs stark abstützt, liegt genau betrachtet noch vor der Antike, aber der Autor zeigt auch auf, wie schon die vorsokratischen Naturphilosophen (Thales) die Wichtigkeit des Wassers als Kommunikationsweg erkannt hatten, oder wie die Bildung von Handelsstädten auch eine Bildung von Rechtssicherheit verlangte, wenn die Stadt blühen sollte. Während die Kolonien der alten Griechen praktisch alle irgendwo im Mittelmeer (oder allenfalls am Schwarzen Meer) lagen, erhaschen wir mit Philipp II. und Alexander dem Großen von Makedonien einen Blick auf Ägypten, Indien und Afrika – denn die riesigen Feldzüge der Makedonier wurden auch (vor allem?) ausgeführt mit Blick auf eine Optimierung der Handelswege ihres Reichs. Schließlich entlarvt Schulz dann die Aussagen der alten römischen Historiker, die Römer seien eigentlich simple Bauern gewesen, also Landmenschen, und zur Seefahrt bzw. zum Seekrieg nachgerade gezwungen worden, als reine Propaganda. Viele der herrschenden Familien Roms waren durch Seehandel und Seeräuberei reich geworden. Und wenn Britannien erobert wurde, dann weniger wegen des daraus resultierenden Ruhms, wie die römischen Historiker sich und der Nachwelt weismachen wollten, sondern wegen der dortigen Bodenschätze, die die römischen Armeen für ihre Ausrüstung ebenso brauchten wie der römische Bauer für die Herstellung der Instrumente zur Bearbeitung seines Bodens.

Alles in allem ein sehr interessantes und aufschlussreiches Werk, das nur darum keine Preise gewinnen wird, weil es seinem Vorgänger allzu sehr ähnelt – wenn auch im Guten. Wer Abenteurer der Ferne schon gelesen hat, braucht dieses Buch hier nicht unbedingt auch noch zu lesen – es sei denn aus Freude an informationsreichen, gut geschriebenen und hervorragend illustrierten Sachbüchern.


Raimund Schulz: Die Antike und das Meer. Von Händlern, Söldnern und Piraten. Freiburg im Breisgau: Herder, 2024. [Erschienen im Imprint wbgTheiss. Der Konrad Theiss Verlag war ein guter und bekannter Verlag im Bericht der Historik, musste dann aber aufgeben und wurde von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft aufgekauft. Dort lief er als Imprint bereits unter dem Namen wgbTheiss. Nach der Insolvenz der Buchgesellschaft und deren Aufkauf durch den Herder-Verlag läuft er nun offenbar bei Herder unter diesem Namen weiter. Auch Verlage haben ihre Geschichte und nicht immer macht sie Freude …]

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