Rachilde: Nein, ich bin keine Feministin [Pourquoi je ne suis pas féministe]

Portrait der Autorin Rachilde. Radierung (1899) von Désiré Quenel, nach einer Fotografie von Otto Wegener (Privatbesitz). - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Rachilde, homme de lettres, so will es das Gerücht, habe auf den Visitenkarten der jungen Schriftstellerin Marguerite Eymery gestanden. (‚Homme‘ hat hier die Bedeutung nicht eines Menschen sondern des Mannes – Frauen nannten sich üblicherweise ‚femme de lettres‘.) Das war die Zeit, als sie Männerkleider trug und auch in ihren literarischen Werken Fragen der geschlechtlichen Identität und der sexuellen Orientierung auslotete (La Marquise de Sade, 1887; Monsieur Vénus, 1889). Auch ihr Pseudonym soll einen Mann darstellen – gemäß ihrer eigenen Aussage einen Schweden, der von ihr anlässlich einer spiritistischen Sitzung Besitz genommen habe und ihr seine Werke diktierte.

Rachilde war eine Berühmtheit im literarischen Leben Frankreichs zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, dem fin de siècle (mit all den zugehörigen Konnotationen). Ihren Salon in Paris frequentierten Paul Verlaine, André Gide, Guillaume Apollinaire, Alfred Jarry, Joris-Karl Huysmans, Stéphane Mallarmé oder Oscar Wilde, um nur die berühmtesten zu nennen. Auch Marcel Proust war schon mal dort anzutreffen. 1928, zum Zeitpunkt des Erscheinens des vorliegenden Essays, war ihr Stern allerdings schon am Verblassen. Nichtsdestotrotz hatten die Verantwortlichen des Hauses Les éditions de France sie gebeten, eine Antwort auf die Frage zu schreiben, warum sie keine Feministin sei. Dieser Essay war Teil einer Reihe von solchen Texten, die alle Pourquoi je suis [bzw. je ne suis pas] XYZ als Titel trugen. Nicht alle der angekündigten Texte sind dann auch erscheinen, so fehlt zum Beispiel die geplante und angekündigte Antwort eines Mannes: Pourquoi je suis féministe.

Feminist:innen haben schon 1928, bei der Veröffentlichung von Rachildes Essay Aufschreie der Entrüstung ausgestoßen, und bis heute hat Rachilde in feministischen Kreisen einen schlechten Ruf, wenn ich das richtig sehe. Dennoch haben die Verlegerin und Übersetzerin Alexandra Beilharz und die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken (für das Vorwort) beschlossen, eine Ausgabe mit etwas über 120 Postkarten-großen Seiten zu wagen. Es ist (abermals: wenn ich das richtig sehe) zur Zeit der einzige Text Rachildes, der auf Deutsch erhältlich ist. Die 2020 bei Reclam erschienene (ebenfalls von Alexandra Beilharz stammende) Übersetzung von Monsieur Vénus ist bereits wieder vergriffen, und es ist offenbar keine Neuauflage geplant.

Ich gestehe, dass mich Rachildes Nein, ich bin keine Feministin sehr irritiert hat. Nicht wegen der Aussage, die im Titel steckt. Aber es ist mir selbst jetzt noch nicht ganz klar, was in diesem Essay denn nun ironisch-satirisch gemeint war und was Rachilde im Ernst hingesetzt hat.

Zunächst versucht sie, ihre anti-feministische Haltung durch ihre Biografie zu erklären. Ihr Vater war Offizier und hatte sich offenbar einen Sohn gewünscht, den er wieder ins Militär hätte einführen können. Später hat ihn eine im Dienst eingefangene Blattern-Krankheit im Gesicht entstellt, was den untreuen Gatten und Homme à femmes offenbar im Kern seines Wesens traf. Er begann zu trinken und wurde gewalttätig. Trotzdem (oder deswegen?) spielt er in Rachildes Erinnerungen eine kleinere Rolle als die Mutter und die Großmutter. Die Mutter hat sich vor dem Leben (und dem ungeliebten Gatten) zunächst in den Spiritismus zurückgezogen und später in eine Depression. Auch in diesem Essay hier wird sie als zutiefst lebensuntüchtig dargestellt. Die Großmutter hingegen ist zwar voller Liebe, aber süßlich-romantischer Liebe – letzten Endes auch nicht lebenstüchtiger als ihre Tochter. Mittendrin Rachilde, die schon als junges Mädchen vernünftig (will sagen: lebenstüchtig!) sein musste und die die Buchhalterin in dieser seltsamen Familie war. Was zwar auch nicht wirklich half, denn das zunächst nicht unbeträchtliche Vermögen der Familie (i.e.: der Mutter) schmolz rasch dahin.

Dass sie in jungen Jahren Männerkleidung anlegte, sei – behauptet sie – nur eine Sparmaßnahme der ziemlich mittellosen jungen Frau gewesen, weil Männerkleidung von Stoff und Farbe her (meistens schwarz) haltbarer und im Unterhalt einfacher gewesen sei. So zum Beispiel habe man – von der Form des Rockkragens abgesehen – Männerkleider jahrelang tragen können, während bei den Frauen die Mode regelmäßige und vollständige Umstellungen verlangte. Das klingt nun sehr nach den satirischen Auslassungen vieler Männer über die Frauenmode seit der Renaissance. Auch wenn Rachilde über den Alkoholkonsum und das Zigaretten-Rauchen der jungen Frauen der 1920er Jahre lästert, hat man das Gefühl einem alten Mann zuzuhören und nicht einer (halt auch schon fast 70-jährigen) Frau.

Doch genau hier liegt meines Erachtens einer der Ansatzpunkte für das Verständnis ihres Essays. (Der andere ist Rachildes Lust an der Provokation, der sich ja schon in vielen Titeln ihrer frühen Romane äußert.) Wenn sie aber hier über die Kleidermode lästert oder die Mode, dass alle jungen Frauen rauchen und trinken, zum Schluss auch den Feminismus der 1920er unter die Modeerscheinungen subsumiert, wird klar: Rachilde ist – wenn überhaupt – nicht Feministin sondern Anarchistin. Oder vielleicht, sanfter formuliert: Individualistin. Ob im Bereich des Sexuellen, der Kleidung oder der ideologischen Ausrichtung: Sobald etwas zur Mode wird, die man oder frau mitmachen muss, wird dies für Rachilde problematisch. Daher auch ihre Abneigung gegen jede Form von Religion(sausübung). Eine, wie ich finde, durchaus sympathische Einstellung.

Nein, sie ist keine Feministin, wenn dies bedeutet, eine Feministinnen-Uniform tragen zu müssen. Aber sie ist eine großartige Rhetorikerin, Ironikerin – eine Frau, die ‚Satire‘ noch von ‚Satyr‘ ableitet. Schade, dass auf Deutsch nicht mehr von ihr auf dem Markt ist.


Rachilde: Nein, ich bin keine Feministin. Übersetzung aus dem Französischen von Alexandra Beilharz. Mit einem Vorwort von Barbara Vinken. Heidelberg: Flur Verlag, 2024.

Mit besten Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 1

3 Replies to “Rachilde: Nein, ich bin keine Feministin [Pourquoi je ne suis pas féministe]”

  1. Herzlichen Dank für diese ausführliche Besprechung!
    Zum Thema Ironie: In der Tat spielt Rachilde damit und einerseits möchte sie provozieren, andererseits macht sie sich – wie im Kapitel über Mode – auch ganz gezielt lustig über die unpraktische Damenkleidung ihrer Epoche. Die Gratwanderung zwischen Ironie und Ernst war auch bei der Übersetzung eine Herausforderung.
    Tatächlich ist aktuell kein anderes Buch von Rachilde auf Deutsch lieferbar, der Flur Verlag plant aber mindestens einen weiteren Titel …

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