J. Anderson Thomson: Warum wir (an Gott) glauben

Thomson zeigt in diesem schmalen, lesenswerten Buch, auf welche Weise Theologen mit wissenschaftlich verbrämten Anspruch selbst die Evolutionstheorie ihren Zwecken dienstbar zu machen versuchen. Ein Versuch, der zumindest teilweise (und kurioserweise) auf Richard Dawkins zurückgeht, der in seinen Büchern mit dem Gedanken an eine genetische Komponente für den Glauben an Übersinnliches gespielt hat.

Selbstredend ist das Geschwätz völliger Unsinn: Wir pflegen nach kausalen Zusammenhängen zu suchen (und das oft mit Erfolg), um den Ursachen für das Geschehen in der Welt auf den Grund zu gehen. Ein evolutionär äußerst sinnvolles Verhalten, das aber auch in die Irre führen kann: Je umfangreicher das Unwissen über die tatsächlichen Zusammenhänge, desto größer die Gefahr bei dieser Suche einer Illusion zu unterliegen (weshalb wir in abstrakten Teppich- oder Fliesenmustern problemlos Gesichter zu erkennen, in durch den Wind erzeugten Geräuschen sprachliche Bedeutungen zu hören glauben). Diese Fehlinterpretationen sind in der Regel harmlos: Besser einige Male einen vermeintlichen Tiger in der Dämmerung gesehen oder gehört zu haben als ihn auch nur einmal nicht wahrzunehmen.

Der Himmel über uns war daher ebenso interpretationsbedürftig: Das Chaos der Sterne wurde geordnet, menschlichen Zwecken dienstbar gemacht (ob nun durch Vergöttlichung einzelner Gestirne oder durch astrologische Auslegung mit Bedeutung versehen). Naturwissenschaftliche Unkenntnis war immer ein willkommenes Argument für Wunder- und Götterglauben: Eines der Hauptargumente gegen die Evolutionstheorie war noch im 19. Jahrhundert der ungeheure Zeitraum, der eine solche Entwicklung voraussetzte. Nichts schien unserer Sonne auch nur ansatzweise jene Energie liefern zu können, um über Milliarden Jahre gleichmäßig Wärme abstrahlen zu können. Zum anderen war man in jenen Bereichen um kausale Erklärungsmodelle bemüht, die für das Überleben der Gesellschaft von überragender Bedeutung waren: Das betraf vor allem das Wetter, dessen Erscheinungen offenbar in erheblichen Maß durch den Zufall bedingt wurden, weshalb man durch Rituale Einfluss zu nehmen suchte. Die Reste derselben finden wir noch heute: Allüberall Erntedankfeste, das Vertreiben des Winters, das Beschwören von dem Wachstum förderlichen Temperaturen, von Regen. Hier in Österreich findet am Land noch immer das sogenannte „Felder-Beten“ im Frühjahr statt: Man wendet sich an den lieben Gott und bittet um Hilfe, indem man archaische Rituale befolgt und den vermeintlich für das Schicksal Verantwortlichen durch Gebete freundlich zu stimmen versucht. Regentanz im 21. Jahrhundert.

Eine andere Komponente des Glaubens ist die Tradition, die von den Alten, Weisen auf die nächste Generation übertragen wird. Auch das ist in seinen Grundzügen absolut vernünftig: Es gibt kaum einen Bereich des Lebens, in dem Erfahrung nicht von größter Wichtigkeit wäre. (Wer je in irgendeiner Form Heimwerkertätigkeit verrichtet hat, weiß um die bewundernswerten Kenntnisse älterer Personen, die für äußerst vertrackte Probleme wunderbare Lösungen parat haben.) Allerdings wird nicht nur dieses sinnvolles Wissen tradiert, sondern ebenso Vorurteile, Schrullen und Irrglauben. Und weil die Religion mit den bereits erwähnten, überlebenswichtigen Wetterphänomenen amalgamiert wurde, wurde eine solche Überlieferung tabuisiert: Kritik an Regentänzen könnte potentiell tödliche Folgen für die Gemeinschaft haben.

Daneben gibt es natürlich die soziale und ethische Komponente des Glaubens: Eine Religion mit ihren von allen vollzogenen Riten stiftet ein Gemeinschaftsgefühl, fördert den Zusammenhalt, die Solidarität innerhalb der Gruppe. Selbstverständlich ist der Gottesglaube an sich nicht konstituierend für soziale Regeln, ethisches Verhalten: Solche Dinge haben sich sukzessive – vor allem bei in größeren Gruppen lebenden Tieren – entwickelt, die Menschen sind diesbezüglich keine Ausnahme (in den Bücher von Frans de Waal gibt es unzählige Belege für Moral, Gemeinsinn, Gerechtigkeit bei Primaten – und das ist keineswegs nur auf Primaten beschränkt). Für alle Lebewesen, die sich in größeren Gruppen zusammenschließen, ist Anarchie absolut kontraproduktiv: Man muss Regeln entwickeln, befolgen und deren Einhalten überwachen, um ein gedeihliches Überleben zu gewährleisten – das Ausleben des Rechts des Stärkeren würde jede Gemeinschaft zerstören.

Solche Regularien durchzusetzen ist schwierig: Was also liegt näher, als die Kodifizierungen mit einer göttlichen Aura zu versehen und ihnen damit einen übermenschlichen Wert zu verleihen. Religion ist – wie erwähnt – keineswegs konstituierend für Werte (sonst müssten Bonobos und Schimpansen auch zu den Gläubigen gezählt werden), sondern bestenfalls eine willkommene Verstärkung von überlebenswichtigen Regeln. Die Schattenseite dieser Verbindung ist offenkundig: Religiöse Ge- und Verbote sind per se kritikimmun – und – noch schlimmer – sie gelten immer nur für das eigene Kollektiv. Diese Kombination – so nützlich sie für die betreffende Gruppe sein mag – ist gefährlich, tödlich für alle anderen: Für die Abweichler innerhalb der Gemeinschaft und für alle Fremden, die sich einem anderen Glauben verpflichtet fühlen und daher bis aufs Blut bekämpft werden.

Und hier liegt auch das Hauptproblem für die moderne Gesellschaft: Wir bedienen uns archaischer Mittel, die jahrtausendelang unter völligen anderen Bedingungen äußerst sinnvoll waren, die aber in einer Welt, in der alles mit allem verbunden ist, fürchterliche Folgen zeitigen. Wie stark diese archaischen Überlieferungen uns noch heute prägen zeigen die unsinnigen Versuche, mit denen Religiöse aller Couleur entgegen aller Vernunft ihr Hordendenken zu bewahren versuchen (etwa in dem man ein „Gottesgen“ propagiert oder aus dem Vorhandensein religiöser Denkweisen meint, auf die Sinnhaftigkeit der Religion einerseits und auf die Existenz Gottes andererseits (kurz-)schließen zu können (ein doppelter naturalistischer Fehlschluss von beachtlicher Dummheit*).

Zwei Sätze im Buch Thomsons sind es wert, besonders erwähnt zu werden: Zum einen weist er auf die völlig unsinnige und immer wiederholte Ansicht hin, dass zwischen Religion und Wissenschaft kein Widerspruch bestehe. Selbstverständlich besteht ein solcher Widerspruch, Religionen treten einerseits mit dem Anspruch auf, bestimmte Dinge (etwa kosmologischer, anthropologischer Natur) erklären zu können und befinden sich damit im Widerspruch mit wissenschaftlichen Erklärungsmodellen; zum anderen werden – etwa im Christentum – supernaturalistische Standpunkte eingenommen (so der Auferstehungsglaube). Gerade letzteres war denn dann doch oft peinlich: Verzweifelte Versuche, die Bibel und den Glauben zu entmythologisieren (wie bei Bultmann) sind natürlich zum Scheitern verurteilt. Diesbezüglich verstehe ich im übrigen die christlichen Fundamentalisten mit ihrer Rigidität sehr gut: Sie wissen, dass mit dem Beginn der Preisgabe des Übernatürlichen der Anfang dafür gemacht ist, das ganze Christentum nebst göttlicher Überlieferung zum Unsinn zu erklären.

Der zweite Satz stimmt bedenklich und traurig: Thomson bezieht sich auf die zahlreichen Auseinandersetzungen, die die Evolutionstheorie in den USA zum Thema hatte (u. a. auf den berühmten – und gewonnenen – Prozess von John Scopes 1925, der ein Verbot der Lehre des Darwinismus in Schulen verhinderte) und hofft, dass die von ihm beschriebenen Ergebnisse der Kognitionsforschung und der Neurowissenschaft alsbald auch gelehrt werden können. Und er prophezeiht, dass christliche Fundamentalisten dann genau das wiederholen, was vor 100 Jahren bezüglich des Darwinismus geschah: Man wird vor Gericht ziehen und das Lehren dieser Erkenntnisse zu verbieten versuchen. Was er – das Buch wurde 2010 geschrieben – für positiv hält, weil es dem wissenschaftlichen Denken eine noch größere Aufmerksamkeit verschaffen würde. Es scheint für ihn nicht im mindesten fragwürdig, wie ein solcher Prozess vor dem Bundesgericht enden würde. – Heute, 15 Jahre später, dürfte auch Thomsons Optimismus (besser – die selbstverständliche Überzeugung, dass Rationalität, Argumente und Fakten den Sieg davon tragen werden) weniger selbstsicher klingen. In den nächsten vier Jahren könnte es auch dem Scopes-Urteil an den Kragen gehen – geschweige denn, dass neurowissenschaftliche Erkenntnisse – in Schulen vermittelt – die Unsinnigkeit von evolutionär sinnvollen Gottesvorstellungen ad absurdum führen werden.


*) Weder besagt die Existenz religiöser Denkmuster, dass sie in dieser Form irgendwie sinnvoll seien (sie sind – wie ausgeführt – vielmehr dem Wunsch nach kausalen Erklärungsmustern geschuldet), noch kann in mehr als abenteuerlicher Weise vom Gedanken auf die Existenz des Gedachten geschlossen werden. Mit dieser Form des Gottesbeweises hat Kant aufgeräumt, nachdem Anselm von Canterbury ihn in die Diskussion einbrachte (allerdings wurde die Fragwürdigkeit der Beweisführung schon damals – durch Gaudilo – gezeigt).

J. Anderson Thomson: Warum wir (an Gott) glauben. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag 2014.

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