Andreas Brandhorst: Der letzte Regent

Andreas Brandhorst ist vielleicht der fruchtbarste und ideenreichste der deutschen Science-Fiction-Autoren der Gegenwart. So ungefähr alle 1-2 Jahre, immer alternierend mit einem Thriller, wirft er einen neuen SF-Roman auf den Markt. Dies hier ist sein neuester.

Ein Versuch, die Geschichte nachzuerzählen, würde daran scheitern, dass ich im Grunde genommen dann den ganzen Roman nochmals ins Netz stellen müsste. Oder ich müsste, damit dem Leser in etwa klar wird, worum es geht, hinten anfangen und den Roman von seinem Ende her erzählen – denn erst ganz am Ende wird alles klar. Dass der Autor sich auch an Thrillern geschult hat, führt zu einem zügigen Erzähltempo und zu einem Inhalt voller Intrigen und überraschender Kehrtwendungen.

Es geht in diesem Roman – einmal mehr – um die Zukunft der Menschheit. 2’000 Jahre sind vergangen seit einer zu Beginn nicht näher definierten Katastrophe. Es ist aber kein post-apokalyptischer Roman; die Menschheit hat sich rasch und effizient gefangen. Nur leben die Menschen jetzt in zwei völlig unterschiedlichen Existenzformen. Da ist das „Endurium“. Wie der Name schon sagt, ist es auf Dauer und Stabilität angelegt. Dafür wurde sogar eine spezielle Technik entwickelt, mit Hilfe derer ein Mensch kontrolliert sterben kann, um nach seinem Tod weiter zu existieren – als „Mortus“, ein Wesen mit theoretisch unendlich langer Lebenszeit und vor allem gereinigt von allen Gefühlen, die einer nüchternen Daten-Analyse im Wege stehen könnten. Diese Morti haben alle wichtigen Jobs im Staat inne; auch der Regent an der Spitze des Endurium ist ein Mortus. Dem Endurium gegenüber stehen die „Splitterwelten“, quasi die Jungen Wilden dieses Weltalls. Das Endurium hat sie an den Rand der Milchstrasse gedrängt, von wo aus sie jetzt eine Art Guerilla-Krieg gegen das Endurium führen.

Mitten drin im ganzen Salat: Xavius V Xavius, ein „Vivus“ und Mitglied einer der 26 alten Familien, die alleine dafür qualifizieren, den Regenten stellen zu dürfen. Er ist Chronist und dafür angestellt, das Leben und die Taten eines der endurischen Generäle gegenüber der Öffentlichkeit regelmässig zu dokumentieren. Er ist an Bord des Raumschiffs, als darin der aktuelle Regent in die Luft gejagt wird – denn auch Morti können definitiv sterben. Wenn Xavius nun denkt, dass er einen journalistischen Coup landen könnte, hat er sich geirrt. Der Tod des Regenten wird bis auf weiteres geheim gehalten, und schon bald findet sich Xavius in einem Hexenkessel wieder, denn offenbar hat irgendjemand ihm bei den nun einsetzenden Intrigen eine Hauptrolle zugedacht – sehr gegen seinen Willen. Natürlich gelingt es ihm, ganz am Ende die Fäden zu entwirren und ein Happy Ending herbeizuführen.

Was Brandhorst – neben einer vielleicht noch überbordenderen Phantasie – von A. E. van Vogt unterscheidet, ist die Tatsache, dass er die Konzepte seiner Phantasiewelt bis zu einem gewissen Grad sehr wohl selber in Frage stellt, sie im Roman selber diskutiert. Dass die De-facto-Gerontokratie des Endurium nicht nur zu einer rapiden Überalterung führt, sondern sich das Verhältnis Morti:Vivi zusehends zugunsten der ersteren verschiebt und damit der stabilisierende Effekt so gross wird, dass Innovationen gleich welcher Art selten oder ganz unmöglich werden, ist etwas, das Xavius zwar zu Beginn der Geschichte nicht wahrhaben will. Aber es ist Teil der Auflösung, dass sie wieder möglich sein soll.

Allerdings muss ich gestehen, dass mich das Ende auch bedenklich stimmt. Brandhorst setzt zu sehr auf Kontinuität. Die Morti regieren weiter und sollen ihre Macht nur langsam, über Jahrhunderte hinweg, abgeben. Ist es realistisch, von irgendeiner Gesellschaftsschicht, und sei sie noch so vernunftorientiert, zu erwarten, dass sie eine Jahrhunderte lang innegehabte Machtposition einfach so, wenn auch langsam, aufgibt? Ich denke nicht. Es erinnert mich fatal daran, dass die deutschen Aufklärer und Intellektuellen wunders was erwarteten von den sog. aufgeklärten Regenten, die den Absolutismus durch Vernunft gemildert bürgernah hätten gestalten sollen. Die Realität der Restauration nach dem Wiener Kongress sollte sie eines traurigen Anderen belehren…

Eine Frage, die mich am Rande umtreibt: Das Endurium, eine 2’000 Jahre alte Gerontokratie, an deren Spitze ein alter Mann steht, der alle Geheimnisse des Reichs kennt, ein Regent, der im Bedarfsfall in einem an ein Konklave gemahnendem Ritual gewählt wird … Sollte der Autor hier gar Spitzen gegen die katholische Kirche versteckt haben? Immerhin ist die Sprache des Endurium – Latein! (Und wären dann die Splitter, also die Sekten, Protestanten etc.?)

PS. Fast hätt‘ ich’s vergessen: Aliens kommen natürlich auch vor. Sogar in einer Hauptrolle. Und Schwarmintelligenz.

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