E. T. A. Hoffmann: Nußknacker und Mausekönig

Weihnachten! Fritz und Marie, die Kinder des Medizinalrats Stahlbaum, harren in einem Hinterstübchen ohne Licht, bis die Bescherung fertig gestellt ist. Halb wissen sie, dass die Erwachsenen die Geschenke bringen; halb glauben sie noch ans Christkind. Doch spielt Weihnachten keine weitere Rolle mehr – ausser eben als der Moment, in dem der Nussknacker in die Familie Stahlbaum kommt. Schon am ersten Abend allerdings verliert er ein paar Zähne, weil ihm Fritz immer die härtesten Nüsse zum Knacken in den Mund schiebt. Marie ist entsetzt und nimmt sich des Patienten an.

Hier verlässt die Geschichte die Realität. Obwohl Hoffmann auktorial erzählt, erfahren wir letztlich alles einzig aus der Sicht des Mädchens. Dabei hält Hoffmann den Leser geschickt im Ungewissen: Ist die in der Weihnachts-Nacht folgende Schlacht eine Fieber-Phantasie der kleinen Marie oder bekämpft der Nussknacker an der Spitze einer Armee von Fritzens Spielzeug-Husaren tatsächlich eine Armee von Mäusen, an deren Spitze wiederum der Mausekönig steht, ein siebenköpfiges Mäusemonster? Der Nussknacker entpuppt sich (für Marie) als verwunschener Neffe des Hausfreundes und Paten Droßelmeier, der nicht nur Jurist ist, sondern auch ein geschickter Uhrmacher und Ersteller hochkünstlicher Aufzieh-Automaten. Zum Schluss siegt das Gute: Nachdem die Husaren in der ersten Schlacht desertierten und so dem Nussknacker eine Niederlage bescherten, gelingt es ihm, in einem zweiten Anlauf – von Marie mit einem Schwert versorgt – den Mausekönig zu töten. Marie und der Nussknacker begeben sich ins Puppenreich, wo Marie den jungen Mann zu entzaubern vermag. Alle Versuche Maries, den Erwachsenen von ihrem Abenteuer zu erzählen, werden von diesen ausgelacht – ja, Marie erhält ein ausdrückliches Verbot, das Thema nochmals aufzugreifen. In einem wahrhaft märchenhaften Schluss erscheint dann der Neffe Droßelmeier auch in der ‚Realität‘; er und Marie heiraten nach Jahresfrist, und Marie soll noch zur Stunde Königin eines Landes sein, in dem man überall funkelnde Weihnachtswälder, durchsichtige Marzipanschlösser, kurz, die allerherrlichsten, wunderbarsten Dinge erblicken kann, wenn man nur danach Augen hat.

Wenn man nur danach Augen hat… Das Märchen Nußknacker und Mausekönig gehört in den Rahmen der Serapionsbrüder, und so diskutieren denn im Anschluss an das Märchen ebendiese Brüder darüber. Theodor kritisiert, dass Lothar (der Erzähler und Erfinder des Märchen innerhalb der Fiktion der Serapionsbrüder) sein Märchen ein Kindermärchen nennt, da es ganz unmöglich ist, daß Kinder die feinen Fäden, die sich durch das Ganze ziehen und in seinen scheinbar völlig heterogenen Teilen zusammenhalten, erkennen können. Lothar aber hält das für ausreichend: Es ist […] überhaupt meines Bedünkens ein großer Irrtum, wenn man glaubt, daß lebhaft phantasiereiche Kinder, von denen hier nur die Rede sein kann, sich mit inhaltsleeren Faseleien, wie sie oft unter dem Namen Märchen vorkommen, begnügen. Hier deutet Hoffmann eine ganze Lese-Pädagogik an, wie sie bis heute, gerade anhand von Märchen, immer wieder durchgekaut wird.

Eine Dialektik von Sein und Schein, die zu Gunsten des Scheins gelöst wird. Ein Loblied der Liebe, die eben auch ‚innere Werte‘ zu erkennen vermag. Hoffmanns Kunstmärchen wurde des öftern adaptiert; am bekanntesten sind wohl Ballett und Suite von Tschaikowski, die immer wieder zur Weihnachtszeit in den Spielplänen von Opern- und Konzerthäusern aufscheinen. Tschaikowskis Vorlage war allerdings nicht direkt Hoffmanns Original, sondern eine Bearbeitung durch Dumas den Älteren. Es lohnt sich aber in jedem Fall, E. T. A. Hoffmanns Original wieder zu lesen.

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