Cooks Tagebücher aus den Jahren 1768 bis 1779, d.h. die seiner in dieser Zeit stattfindenden Weltumsegelungen, wurden 1955-1967 von J. C. Beaglehole in vier Bänden erstmals komplett herausgegeben. Diese Gesamtausgabe (und auch zwei nachfolgende Reprints) verkauften sich so gut, dass sie in kürzester Zeit ausverkauft und selbst antiquarisch – wenn überhaupt – nur für teures Geld zu haben waren. Das bewog 1999 Penguin Classics und Philip Edwards eine auf der Gesamtausgabe basierende 3-bändige Auswahl- und Leseausgabe herauszugeben, die 2003 (mit einem aufgefrischten Part zur weiterführenden Lektüre) nochmals erschien. Vor mir liegt nun eine Neuausgabe der 2003 erschienenen Penguin-Ausgabe, die diesen Herbst bei der Folio Society erschienen ist – wie immer bei diesem Verlag in Leinen gebunden und mit vielen Illustrationen aus der Zeit versehen. Dazu nicht nur die Landkarten, die schon der Pinguin seiner Ausgabe beigab, sondern auch in einem separaten Anhang eine in Originalgrösse gehaltene Karte aus der Zeit, in der sämtliche Reisen Cooks nachgetragen sind.
Nun also Cooks dritte und letzte Reise. Er war vorher noch einmal befördert worden (zum sog. Post-Capitain, was bei den Landstreitkräften einem Oberst entspricht) und hatte einen gut bezahlten Posten an Land erhalten. Er war berühmt, Mitglied der Royal Society etc. etc. Er hätte also in aller Ruhe und Bequemlichkeit den Rest seines Lebens an Land zubringen können. Aber es hielt ihn nicht dort. Vielleicht trug auch Reinhold Forster das seine dazu bei, Cook wieder auf ein Schiff zu treiben, da das knappe Jahr, das zwischen dessen zweiter und der dritten Reise lag, gefüllt war mit den Streitereien, die vor allem Forster senior mit der Royal Navy vom Zaun riss. Am 12. Juli 1776 ging es los. Offiziell war die Mission der beiden Schiffe Resolution und Discovery, den auf der letzten Reise nach England mitgenommenen und dort zum Vorzeige-Wilden gewordenen Polynesier Omai in seine Heimat zurück zu bringen. Zugleich aber sollten sie – wenn sie denn schon mal im Pazifik waren – versuchen, ob sie nicht die legendäre Nordwestpassage entdecken könnten, den Übergang vom Atlantik in den Pazifik über die Nordseite des amerikanischen Doppelkontinents.
Auf der Reise berührten Cook und seine Leute zum Teil bekannte Orte wieder (v.a. in Neuseeland und den Südsee-Inseln), teils befanden sie sich auf ihrer Reise in den Norden in bisher unbekanntem Gebiet. Sie stiessen ziemlich weit gegen die Arktis vor, ohne jedoch eine Passage zu finden. Der eintretende Winter 1778 zwang sie, sich wieder in die Südsee zurückzuziehen. Dort fand Cook am 14. Januar 1779 bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Eingeborenen den Tod. Bis heute stellt man sich die Frage nach den Ursachen dieses Scharmützels. Auch in meiner Ausgabe wird sie im Anschluss an die eigentlichen Tagebücher gestellt.
Die Tagebücher der dritten Reise sind von Anfang an bedeutend besser ausgearbeitet als die der beiden ersten Reisen. Ganze Sätze, längere Abschnitte, weniger nautischer Fachjargon (so ist die Uhrzeit immer die üblicherweise an Land verwendete, nicht die nautische, die Cook bisher verwendete, sobald sein Schiff auf See war) – selbst die Orthographie ist nicht ganz so eigenwillig. Cook hatte die Tagebücher diesmal eindeutig bereits mit Blick auf eine Veröffentlichung verfasst.
Was bei der Lektüre aber auch auffällt, sind die drastischen, zum Teil nachgerade alttestamentarisch-brutalen Strafen, die Cook auf dieser Reise über jene verhängt, die seinen Befehlen nicht nachkommen. Ob nun Besatzungsmitglieder, die z.B. trotz Ausgangssperre an Land gehen, oder die Eingeborenen, die sich einen der vielen vorkommenden Diebstähle zu Schulden kommen lassen: Auspeitschungen oder Amputationen von Gliedmassen sind nicht selten. Es ist, als ob hier nicht mehr der gleiche Mann am Ruder sässe, aber über die Motive kann man nur spekulieren. Mir will z.B. scheinen, dass – obwohl mit dem Maler John Webber (die Familie ist schweizerischen Ursprungs) und den später durch andere Forschungsreisen wenn nicht berühmt, so doch ein wenig bekannt gewordenen George Vancouver und Heinrich Zimmermann durchaus Koryphäen mitreisten – dass auf der dritten Reise also Leute von der Art eines Joseph Banks oder Georg Forster fehlten: de facto von Cook unabhängig und sich dieser Unabhängigkeit auch bewusst, grosse Kommunikatoren, die sowohl mit den einfachen Matrosen wie mit den Einheimischen den Kontakt auf Augenhöhe pflegten und mit einer unersättlichen Neugierde fremde Kulturen ohne grössere Vorurteile erforschend. Solche Bindeglieder, solche Moderatoren fehlten; und Cook sollte ihr Fehlen mit dem Leben bezahlen.
Über die konkreten und definitiven Gründe, die zu jenem für Cook tödlich endenden Scharmützel geführt haben, wird bis heute spekuliert. Philipp Edwards stellt einige davon vor. Die meisten bauen darauf auf, dass Cook die Insel Hawaii eigentlich schon wieder verlassen hatte, auf Grund ungünstiger Winde aber nochmals zurückkehren musste. Da ist jene Theorie, dass der Kapitän von den Insulanern für einen (Fruchtbarkeits-)Gott gehalten wurde, der einmal im Jahr erschien, und der ebenso einmal im Jahr umgebracht werden musste. Zu Recht hat man (worauf Edwards hinweist) an dieser Theorie kritisiert, dass die Eingeborenen doch wohl intelligent genug waren, Cook nicht für einen Gott zu halten. Mir schmeckt diese Theorie eines Gottes, der umgebracht werden musste, ein bisschen zu sehr nach 19. Jahrhundert, ein bisschen zu sehr nach Frazer. Wahrscheinlicher scheint mir die politisch-ökonomische Erklärung: Cook legte zwar sehr viel Wert auf eine friedliche Koexistenz von Eingeborenen und Schiffsmannschaft. Es sollte jedoch eine Koexistenz nach seinen Regeln sein. Eine Koexistenz, die – obwohl er selber auf seiner zweiten Reise davor gewarnt hatte, dass man sich darauf stützen sollte – darauf beruhte, dass die Weissen mit ihren überlegenen Waffen die Bedingungen diktierten. Die Weissen kamen und wollten gefüttert werden, sie wollten Frauen haben, sie bestatteten ihre Toten, wo immer es ihnen in den Sinn kam. Als Cook dann weg war, waren die Insulaner wohl ziemlich erleichtert. Endlich konnten sie, um nur ein Beispiel zu nennen, ihre ziemlich erschöpften Lebensmittelvorräte wieder ergänzen. Und dann kamen die Schiffe zurück! Die Stimmung war von Anfang an gereizt, und schliesslich zeigte man dem Eindringling, dass man nicht alles zu akzeptieren gewillt war. Cook war überheblich geworden und hatte die Situation dramatisch falsch eingeschätzt, mit den bekannten tödlichen Konsequenzen für ihn. Vielleicht hätten ihn Kommunikatoren und Moderatoren wie Banks oder Forster junior davor bewahren können…