Abraham Lincoln: A New Birth of Freedom. Selected Writings

So lautet der Titel einer 2015 von Thomas Kaplan speziell für die Folio Society zusammengestellten Auswahl aus den Schriften des 16. US-Präsidenten, Abraham Lincoln. Chronologisch den Zeitabschnitten (und Kapitelüberschriften) Starting out in Illinois (1809-1837), Politics, local and national (1838-1846), Congressman and Lawyer (1846-1852), The Rising Republican (1852-1859), President Lincoln (1860-1862), und With Malice toward none (1863-1865) zugeordnet und mittels einer Einleitung auch kommmentiert, finden wir vorwiegend Briefe und Reden des Politikers Lincoln wieder. Der Privatmann Lincoln, z.B. das nicht unkomplizierte Verhältnis zu Frauen des jungen Manns, oder seine ebenfalls nicht unkomplizierte Ehe, tritt in dieser Auswahl nur am Rand in Erscheinung. Das Buch ist – wie man es sich bei der Folio Society gewohnt ist – reich illustriert mit zeitgenössischen Fotografien, Karikaturen und anderm ebenfalls zeitgenössischem Material.

Die geschickte Auswahl der Dokumente macht einen Kommentar praktisch überflüssig, und Kaplan kommentiert denn weise genug nur spärlich, nur wo nötig. Auch so wird der Leser die Entwicklung des Politikers Lincoln nachvollziehen können – vom Menschen, dem vor allem privat die Sklaverei ein Übel darstellte, der sie aber in den US-Bundesstaaten, wo sie existierte, auch weiterhin tolerieren wollte, hin zum Sklaven-Befreier. Wenn man nämlich die Briefe und Reden Lincolns studiert, kommt man zum Schluss, dass Präsident Lincoln keineswegs der grosse Vordenker der Sklaven-Befreiung war. Im Grunde genommen war es immer so, dass Lincoln nicht agierte, sondern nur reagierte. Zu keiner Zeit hatte er das Heft wirklich in der Hand. Der Sezessionskrieg wurde ihm aufgezwungen, da selbst seine ursprünglich gemässigte Position vielen Südstaatlern ein Dorn im Auge war und sie sich deshalb vom Norden lossagten. Den Bürgerkrieg führte Lincoln anfänglich auch nicht zur Befreiung der Sklaven in den Südstaaten, sondern weil er die territioriale Integrität der Vereinigten Staaten bewahren wollte. Die Generäle, die er anfangs mit der Führung der Armee beauftragte, waren unfähig bzw. sympathisierten mehr oder weniger offen mit den Ansichten der Südstaaten, und Lincoln brauchte lange, bis er sich durchringen konnte, sie abzusetzen. Er rechnete bereits nicht mehr damit, für eine zweite Amtszeit wiedergewählt zu werden, weil sich im Bürgerkrieg eine Art Patt-Situation abzeichnete, mit Vorteil sogar für den Süden, und das Volk im Norden der Entbehrungen langsam müde wurde, die offenbar so gar keinen Erfolg zeitigten. Erst die Erfolge von Ulysses S. Grant und dann vor allem ein im richtigen Zeitpunkt erfolgter Sieg von William T. Sherman zog die Kastanien des Nordens und damit auch die des Präsidentschafts-Kandidaten Lincoln aus dem Feuer.

Dass Lincoln Sklaven für frei erklärte, geschah mehr der Not gehorchend als dem eignen Triebe. Irgendwann im Bürgerkrieg zeigte es sich, dass der Norden nicht genügend Soldaten würde rekrutieren können, wenn man nicht  auf Schwarze zurückgriff, von denen eine immer grössere Zahl aus dem Süden in den Norden floh, wo sie per Dekret als freigelassen galten. (Selbst diese Freilassung zu dekretieren, zögerte Lincoln so lange hinaus, wie es möglich war.) Und erst, nachdem sich schwarze Regimenter gebildet hatten, wurde Lincoln offenbar klar, dass diese Soldaten (Lincoln spricht übrigens unterschiedslos von negroes, blacks und colored people) mit mehr als nur ihrem Sold belohnt werden mussten – mit andern Worten: dass die Farbigen das US-amerikanische Bürgerrecht erhalten mussten, wollte man ihre Moral nicht schwächen. Von seinem ursprünglichen Kriegesziel, den status quo ante wiederherzustellen wich Lincoln im Verlauf des Kriegs ab, als er merkte, dass er, wenn einerseits die Südstaaten empfindlich geschwächt und andererseits der Krieg gegenüber dem Kongress im Norden weiterhin legitimiert werden sollte, als Kriegsziel die Abschaffung der Sklaverei propagieren musste. Abschaffung wohlgemerkt nur in den rebellischen Südstaaten; Virginia etwa, Heimat der berühmten Amtsvorgänger Washington und Jefferson, war zwar Sklavenhalter-Staat, hatte aber im Bürgerkrieg zum Norden gehalten, und sollte in seinem Sklavenhalter-Status nicht berührt werden.

Überhaupt musste der Politiker Lincoln in Bezug auf seine Einstellung zur Sklaverei so manche geistige Turnübung vollziehen. Zwar bestand schon zu seiner Zeit das Gesetz, dass keine neuen Sklaven in die USA eingeführt werden durften – ein Gesetz, das eben so oft zitiert, wie missachtet wurde. Aber die Grundsatzdebatte zu Lincolns Zeit war jene, ob die Gründerväter, die in der US-amerikanischen Verfassung festgeschrieben hatten,

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.

nun mit all men auch die Schwarzen und Sklaven gemeint haben könnten. Lincoln war Zeit seines Lebens der Meinung, dass diese Leute zwar frei sein müssten, aber keine US-amerikanischen Bürger werden dürften (wie oben gesagt, die Ereignisse zwangen ihn dazu, hier seine Meinung zu ändern). Er war auch der Meinung, dass Ehen zwischen Schwarzen und Weissen selbst dann nicht möglich sein sollten, wenn man festhielt, dass all men are created equal. Am liebsten wäre ihm gewesen, er hätte alle zwangsweise in die USA eingeschleppten Schwarzen davon überzeugen können, in speziell für sie geschaffene Staaten auszuwandern: Liberia oder Haiti. Obwohl ihn Delegationen von Schwarzen immer wieder vom Gegenteil zu überzeugen suchten, war er bis an sein Lebensende der Meinung, damit einer Mehrheit von Schwarzen einen gangbaren Weg aus der Misere aufgezeigt zu haben, den sie freudig einschlagen würden.

Ein anderer Punkt, um den Lincoln – ein begnadeter Rhetoriker! – mit viel Geschick navigierte, war die schon bei Washington und Jefferson selber reichlich schizophren angehauchte Situtation, dass hier zwei prominente Vertreter der Sache der Freiheit und der Menschenrechte aus einem Sklavenhalter-Staat stammten. Beide, Washington wie Jefferson, hielten m.W. Sklaven; von Jefferson weiss man, dass er mit einer Sklavin zwei Söhne hatte – die er offenbar weiter als Sklaven behandelte. Obwohl dieser Punkt auch Lincoln und seiner Zeit bekannt gewesen sein musste, wurde er auf beiden Seiten unter Verschluss gehalten.

Alles in allem eine geschickt gemachte Einführung in Lincolns Wesen und Denken, die beweist, dass so etwas auch ohne grosse Einleitungen und Interpretationen geschehen kann. Gerade bei Lincoln sprechen seine Reden und Briefe für sich selber.

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