Giuseppe Verdi: Luisa Miller

Lügen und Intrigen, Mord und Totschlag, verratene Liebe, Gift und Dolch – würde heute aus diesen Ingredienzien eine Geschichte gebastelt: Man würde unvermeidlich von Kitsch reden. Und selbst in vergangenen Jahrhunderten gab es nur wenige Autoren, die damit umgehen konnten, ohne vor Mit- oder spätestens Nachwelt lächerlich zu werden. Zu den wenigen gehören das Ausnahme-Talent Shakespeare und (schon mit Einschränkungen) sein Meisterschüler Friedrich Schiller.

Oben genannte Ingredienzien nämlich bilden den Stoff von  Schillers 1784 uraufgeführtem bürgerlichen Trauerspiel Luise Millerin, dem erst vom Theaterpraktikus Iffland der publikumswirksamere Titel Kabale und Liebe verliehen wurde. Mehr als ein halbes Jahrhundert später (nämlich 1849) sollte Giuseppe Verdi aus dem Stoff sein melodramma tragico Luisa Miller formen. Man kann an eine Oper nicht dieselben Massstäbe anwenden, wie an eine Tragödie auf dem Sprechtheater. Zu Verdis Glück: Denn als Drama ist Luisa Miller noch mehr missglückt als Kabale und Liebe.

Obwohl sich Verdis Librettist Salvatore Cammarano recht eng an die deutsche Vorlage hielt, baute er doch einige Änderungen ein. Ich denke dabei weniger an den aus heutiger Sicht eher pittoresken Umstand, dass der liebende Held und Grafensohn nicht wie im Original Ferdinand(o) heissen durfte, weil der regierdene König beider Neapel (wo die Uraufführung stattfand) so hiess. Aber Verdi und sein Librettist mussten auch auf weitere Gepflogenheiten der damaligen Opernbühne Rücksicht nehmen. Da ist zum Beispiel die klare hierarchische Gliederung der Sänger und Sängerinnen: Es gab an einem Theater nur eine Primadonna, nur einen Primohuomo. Die Primadonna war der dramatische Koloratursopran und erhielt selbstverständlich mehr Text und mehr Gesang als die andern Soprane. Ähnlich bei den Männern. Da Verdi und Cammarano – aus welchem Grund auch immer – auf Schillers Originaltitel zurückgriffen, war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Primadonna die Rolle der Luisa Miller erhalten sollte – was aus der eigentlich pathetisch-passiv, empfindsam-leidenden Figur ein Zwitterwesen mit plötzlichen dramatischen Ausbrüchen macht. Die ebenfalls strikt einzuhaltende Reihenfolge der Bass-Stimmen (Verdi entschied sich für Miller – Walter – Wurm) machte aus dem eigentlich interessanten Intriganten und Totschläger Wurm eine Nebenfigur, die so wenig Bühnenpräsenz erhielt, dass es schwierig wird, der Motivation ihrer Handlungen zu folgen. Dasselbe gilt auch für den zweiten Sopran, die Gräfin Federica, die vom Charakter her eine der das Drama vorantreibenden Figuren sein könnte, nun aber praktisch unsichtbar bleibt. Last but not least gilt: Mehr noch als der Stürmer und Dränger Schiller liebte Cammarano Gefühlsausbrüche und -umschwünge auf der Bühne.

Dies macht, dass der Hörer und Zuschauer bei Luisa Miller sich von Anfang an auf die Musik konzentrieren wird, ohne Aufbau oder Zusammenhang der Handlung zu berücksichtigen. Im Grossen und Ganzen handelt es sich bei der Musik um eine Art Nummern-Revue. Jeder Stimme, aber vor allem natürlich der Primadonna und dem Primohuomo wird Gelegenheit geboten, ihre Qualitäten im Solo, im Duett, im Terzett oder gar im Quartett, auszuleben. Verdi ist ein Komponist von grossem Können, aber er entzieht sich hier musikalisch kaum den Konventionen seiner Zeit. Da ist zwar die Ouvertüre, die – ganz entgegen diesen Konventionen – nicht einfach ein Potpourri der grossen Arien des Stücks darstellt, sondern eine eigenständige Arbeit am Motiv der Intrige darstellt. Das ist aber im Grunde genommen auch schon alles – der Rest ist eine Nummern-Revue mit Arien, die, selbst wenn sie verhalten-romantisch beginnen, fast immer einen hochdramatischen Schluss aufweisen: Orchester tutti und fortissimo und der oder die Sänger natürlich gleichfalls. Dazu die obligatorischen Schlussakkorde jeder Arie, die dem Zuschauer ganz klar signalisieren: „Jetzt ist fertig; jetzt darfst – ja musst – du Beifall spenden!“

So auch an der Aufführung des Opernhauses Zürich, die ich gestern verfolgt habe. Die Sänger und Sängerinnen waren in Hochform und hatten den fleissig gespendeten Szenenapplaus völlig verdient. Dass ich persönlich ihn dennoch eher zurückhaltend gespendet habe, lag nicht an der Qualität des Gesangs oder des Orchesters, sondern – ein bisschen unfair den Singenden gegenüber, was ich zugebe – daran, dass ich es nicht mag, wenn mich Autoren oder Komponisten mit dem Ellbogen anstossen: „Jetzt, hier! War das nicht grossartig? Beifall! Beifall!“

Auch sonst gab es an der Aufführung nichts oder nur wenig zu bemängeln. Das Bühnenbild hat mich wie gewohnt irritiert, aber ich bin wohl nicht in der Lage, zeitgenössische Inszenierungen diesbezüglich nachvollziehen zu können – zu abstrakt sind mir die heutigen Konzepte, zu sehr Kopfgeburten. Dass man – offenbar als Symbol der Unschuld der beiden Liebenden – zwei Kinder als stumme Akteure auf der Bühne hatte, fand ich, offen gesagt, unnötig und überflüssig. Dass die beiden Kinder in der Anfangs- und in der Schluss-Szene in Unterwäsche dastanden, hatte wohl ebenfalls symbolischen Sinn im symbolischen Sinn, finde ich persönlich aber eher geschmacklos. Den erwachsenen Darstellern, Sängerinnen und Sängern ebenso wie dem Orchester, kamen sowohl Szenenapplaus wie der frenetische Schlussapplaus wohl zu Gute. Alles in allem ein gelungener Abend.


Luisa Miller, Melodramma tragico in drei Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901)
Libretto von Salvatore Cammarano nach dem bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe von Friedrich Schiller

Musikalische Leitung: Riccardo Frizza
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühnenbild: Paolo Fantin
Kostüme: Carla Teti
Lichtgestaltung: Hans-Rudolf Kunz
Video: Timo Schlüssel
Choreinstudierung: Janko Kastelic

Il conte di Walter: Mika Kares
Rodolfo, sein Sohn: Matthew Polenzani
Federica, duchessa d’Ostheim, Walters Nichte: Judith Schmid
Wurm, Walters Schlossverwalter: Wenwei Zhang
Miller, Soldat im Ruhestand: Leo Nucci
Luisa Miller, seine Tochter: Nino Machaidze
Laura, eine Bäuerin: Soyoung Lee
Ein Bauer: Dmytro Kalmuchyn

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

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