Neil Gaiman: Anansi Boys

Auch auf Deutsch heisst das Buch Anansi Boys, und ich frage mich gerade, woher diese immer mehr um sich greifenden Unsitte kommt, in Fantasy und in Science Fiction die Titel von Büchern und TV-Serien unübersetzt zu lassen. (Das aktuell bekannteste Beispiel: Noch 1996 wurde der erste Band von G. R. R. Martins Fantasy-Reihe Games of Thrones mit Die Herren von Winterfell bzw. Das Erbe von Winterfell tatsächlich ins Deutsche übersetzt; die Fernseh-Serie heißt seit 2011 auch auf Deutsch Games of Thrones. Das Phänomen ist also relativ jung.) Ich gebe zu, dass Anansi Boys cooler und hipper und frecher und frischer klingt, als ‚Die Söhne des Spinnengottes‘.

Denn nichts anderes will der Slang-Ausdruck Anansi Boys bedeuten. D. h., Anansi ist kein Slang-Ausdruck. Anansi ist in westafrikanischen Mythen der Gott der Geschichten und des Erzählens. Er kann menschliche Form annehmen, aber auch die Form einer Spinne haben. Fachleute sprechen von einem „Trickster“-Gott – einem Gott, der (oft durch seine Erzählungen) die andern Götter und / oder die Menschen übertölpelt, dessen Tricks aber eben so oft wie nicht auf ihn selber zurückfallen und er dann selber zum Verlierer wird. Der sumerische Enki, der germanische Loki sind hierzulande wohl bekannter. (Der Übergang vom Trickster zum Schelm und Picaro à la Till Eulenspiegel ist fließend.)

Neil Gaiman hat die Figur des Dr. Nancy bereits als sekundären Charakter in American Gods verwendet. Das hier ist aber kein ‚Sequel‘. Es handelt sich um einen eigenständigen Roman. Papa Nancy stirbt in einer Karaoke-Bar in Florida, als er gerade auf der Bühne steht und ein paar Touristinnen singend anschmachtet: Herzinfarkt. Die sexuellen Konnotationen, die mit dem ‚Trickster‘ gerne einhergehen, zeigen sich bei Papa Nancys Tod darin, dass er der einen Touristin noch im Fallen ihr Oberteil herunter reißen kann, sie seinem Tod ‚oben ohne‘ beiwohnt und entsprechend kreischt. Sein Sohn heißt eigentlich Charles, wird aber von allen „Fat Charlie“ gerufen, weil er als Kind einmal pummelig war. Jetzt ist er es nicht mehr. Fat Charlie lebt in London. Zum Begräbnis reist er nach Florida, wo er auch erfährt, dass er einen Bruder habe – einen Tunichtgut, den man nicht beim Begräbnis dabei haben wollte. Wenn er ihn treffen wolle, solle er das einfach der nächsten Spinne mitteilen. Fat Charlie ist ein antriebs- und wehrloser junger Mann ohne grosse Ziele im Leben. Er ist zwar verlobt, aber weder seine Verlobte und schon gar nicht seine Schwiegermutter in spe nehmen ihn ernst. Eines Tages, im Suff, findet er in seinem Badezimmer eine kleine Spinne, die er nach draußen setzt und ihr dabei aufträgt, seinem Bruder zu sagen, dass er ihn gerne sehen würde. Am nächsten Tag erscheint der, und er heißt ‚Spider‘ – Spinne.

So weit so gut. Oder eben nicht. Denn es stellt sich heraus, dass Spider das Charisma und die magischen Fähigkeiten seines Vaters geerbt hat und damit Fat Charlies Leben ziemlich auf den Kopf stellt. So schleimt er sich unter anderem bei seiner Verlobten ein – immer unter dem Namen und Deckmantel seines Bruders, bis diese zuletzt mit ihm schläft, was sie Fat Charlie vor der Hochzeit verweigert hat. Dieser findet sich dann doch etwas in seinen Rechten beschnitten. Eine ehemalige Nachbarin seines Vaters – Fat Charlie reist dafür extra nochmals nach Florida – gibt ihm in einer Art Séance die Möglichkeit, ans Ende der Welt zu gehen, wo er in Höhlen alle Götter der westafrikanischen Mythologie findet. Nur eine Höhle ist leer. Alle weigern sich, gegen Anansi (bzw. seinen Sohn) vorzugehen, bis zum Schluss die Vogelgöttin einlenkt und einen Pakt mit Fat Charlie eingeht, der ihn von seinem Bruder befreien soll.

Leider steht hinter der Vogelgöttin „Tiger“, der stärkste aller Götter, der von Anansi schon zu oft übers Ohr gehauen wurde, und der nun eine Möglichkeit wittert, der Spinne ein für alle Male den Garaus zu machen. Es folgen turbulente Zeiten, nicht nur für Spider, sondern auch für Fat Charlie, der mit einem Mal begreift, dass sein Pakt mit der Vogelgöttin zur Vernichtung der Anansi’schen Blutlinie auch ihn einbeschließt.

Wir haben hier intelligente und tatsächlich Phantasie-reiche Fantasy vor uns. Alle Protagonisten sind dunkelhäutige Nachkommen jener freiwilligen oder unfreiwilligen Emigranten aus Westafrika, die sich vor allem in der Karibik und im Süden der USA niedergelassen hatten. Dadurch sind neben dem nüchternen London Schauplätze vorgegeben, die weniger nüchtern sind, exotischer. Magischer.

(Warum Neil Gaiman in seiner Widmung am Anfang des Romans unter anderen auch den Geist von P. G. Wodehouse anruft, wüsste ich nicht zu sagen. Vielleicht sieht er im Paar Fat Charlie – Spider eine Auferstehung von Bertie Woster und Jeeves? Jedenfalls zu Beginn der Romans haben wir in den beiden tatsächlich das klassische Paar von einer etwas weltfremden Figur einerseits und dem, der immer einen Ausweg findet – egal, wie vertrackt die Lage ist. Die beiden Figuren, so viel sei verraten, gleichen sich allerdings im Laufe des Geschichte an einander an.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert