Klaus-Werner Haupt: Bertuch. Weltbürger & Visionär

In Grautönen gehaltenes Bild. Links in hellerem Ton sind Mund, Nase und linke Wange einer Fotografie der Gipsbüste von Bertuch zu sehen; in der Mitte, hellgrau auf dunkelgrau und auf drei Zeilen verteilt, die Wörter des Untertitels „Weltbürger // & // Visionär“; außen drei orange Striche, dreieckig angeordnet, eigentlich die vertikalen Teile eines „T“ und eines „U“ aus dem von oben nach unten geschriebenen Namen „BERTUCH“. – Ausschnitt aus dem Buchcover.

Gefragt nach den Protagonisten der deutschen Klassik, werden einem Goethe in den Sinn kommen, und Schiller natürlich. Dann wahrscheinlich noch Herder. Schon weniger wahrscheinlich Wieland. Wilhelm von Humboldt habe ich auch schon nennen gehört – als Gesprächspartner vor allem Schillers, in Zusammenhang mit Fragen der klassischen Ästhetik. So habe ich damals, vor unterdessen mehr als zehn Jahren, ein Aperçu über den Verleger Johann Friedrich Cotta eingeleitet. Viel mehr Autoren als die damals schon Genannten waren da gar nicht, die man zur Deutschen Klassik zählen könnte. Wenn wir dennoch weiter überlegen, kommen uns vielleicht noch jene Leute in den Sinn, die für das Zustandekommen der Deutschen Klassik zwar nicht literarisch, aber doch ökonomisch-politisch mit verantwortlich waren – allen voran Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach und ihr Sohn, der Herzog dieses kleinen Landes mitten in Thüringen. Weiter lässt sich dafür argumentieren, dass welche wie zum Beispiel beide Humboldt, also auch Alexander, als zumindest assoziierte Mitglieder gezählt werden können – allerdings tatsächlich vor allem Wilhelm, der in Europa geblieben war. Last but not least kommen einem vielleicht noch Mitglieder des Weimarer Hofstaats in den Sinn, die ebenfalls in größerem oder kleinerem Ausmaß literarisch-übersetzerisch tätig waren und entsprechende Zeitschriften und Almanach füllen halfen.

Schon bei Cotta haben wir gesehen, dass eine sehr wichtige Sorte Menschen gern vergessen gehi oder als Hilfskräfte minderen Ranges behandelt wird: die Verleger jener Zeit. Wir drängen sie bis heute gern in eine Statistenrolle, weil sie uns allzu sehr an das Merkantilische erinnern, das der Produktion von Literatur halt auch eigen ist. Vor allem die Literaturgeschichtsschreibung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts empfand deren wirtschaftliche Seiteallerdings als eine Profanierung der hehren Gedankenwelt der Literatur.

Solch ein in den Hintergrund gedrückter Verleger und Kaufmann ist auch Johann Justin Bertuch. Dabei war er sogar in Weimar zur Welt gekommen.

Nun liegt vor mir eine kurze Biografie dieses Mannes. Sie erschien letztes Jahr (2024) im Bertuch-Verlag in Weimar. Der Verlag steht in keinen direkten Beziehungen zu irgendeinem der vielen Projekte Bertuchs, hat aber seinen Namen angenommen, weil man seine verlegerische Gesinnung aufzunehmen trachtete. 2024 dann feierte der Verlag sein 20-jähriges Bestehen. Zu dessen Feier erschien die Biografie.

Klaus-Werner Haupt, der Autor, weist gleich zu Beginn seines Büchleins auf die Diskrepanz hin zwischen unserer heutigen Einstellung zu bzw. Erinnerung an Leute wie Bertuch und der damaligen Wahrnehmung. Er zitiert in der Vorrede aus der Sammlung Kleine Reise ins Thüringische des Schweizer Astronomen und Mathematikers Johann Bernoulli (1744-1807, der dritte dieses Namens nach seinem Vater und seinem Großvater), der 1783 Weimar besuchte. Haupt stellt lapidar fest:

Dass der Reisende, nach Angabe des Herausgebers ein rühmlich bekannter Gelehrter, Goethe und Wieland je eine halbe, Bertuch aber vier Seiten widmete, hat damals niemanden verwundert.

Es sollte uns auch heute nicht verwundern. Bertuch war ein Mann mit breit gestreuten Interessen, die er auch geschäftlich auslebte. Er verlegte Gartenbücher ebenso wie eine Mode-Zeitschrift oder geografische Bücher, darunter welche, die als Schullektüre verwendet werden konnten. Er war Freimaurer mit Leib und Seele, holte die jungen Leute aus ärmeren Familien von der Straße, indem er ein Fabrik gründete, die künstliche Blumen für die Frauenbekleidung der Zeit anfertigte. Die Leitung dieser Anstalt übertrug er seiner Frau. Die ebenfalls von ihm gegründete Kunstschule leitete er zu Beginn selber. (Nach ihm sollte Johann Heinrich Meyer, der Freund Goethes und als „Kunscht-Meyer in die Annalen der Weimarer Klassik Eingegangene das Institut führen.) Mehr als alle anderen Weimarer war Bertuch der englisch geprägte Aufklärer und (ebenfalls englisch geprägter) Proto-Industrieller der Zeit.

Bertuch hatte einen Charakter, den man zu seiner Zeit ‚merkantilisch‘ zu nennen pflegte. Als junger Mann war er zwar selber schriftstellerisch tätig und träumte auch später immer wieder mal davon, diese Tätigkeit wieder aufzunehmen. Wenn es aber darauf ankam, waren ihm seine Geschäfte, die Geld einbrachten, viel wichtiger. Er war Unternehmer mit Leib und Seele, verdiente sein erstes ‚großes Geld‘ aber mit einer Übersetzung bzw. Bearbeitung des Don Quijote. Nicht alle seine Projekte glückten, aber doch immer genug, dass er sich ein nicht kleines Haus in Weimar kaufen konnte (und damit das Weimarer Bürgerrecht erwerben!). Ob Kunstschule, ob Blumenfabrik – ich will gar nicht alles aufzählen. Man kann es in vorliegender Biografie nachlesen, die ich deshalb allen an der Weimarer Klassik im weitesten Sinn Interessierten wärmstens ans Herz lege.

Denn der eigentlich biografische Teil ist dem Autor gelungen. Er belegt auch seine Aussagen bzw. Zitate jederzeit. Allerdings sind seine bibliografischen Angaben etwas seltsam. So zitiert er aus mindestens drei oder vier verschiedenen Ausgaben von Goethes Werken und Briefen. Noch schlimmer geraten ist das Personenverzeichnis. Alphabetisch werden alle erwähnten Leute hier aufgeführt. Wirklich alle – was dazu führt, dass das Verzeichnis mit … Alexander dem Großen beginnt. „Oh“, dachte ich, „interessant. Muss ich überlesen haben. Wo hat er denn Alexander so prominent erwähnt, dass der sogar den Weg ins Personenverzeichnis gefunden hat?“ Aber dazu gibt es keine Information. Anders gesagt: Es werden in diesem Personenverzeichnis zwar deren Lebensdaten aufgeführt, aber das war’s dann schon. Es fehlt das Wichtigste: die Angabe, auf welcher Seite die Personen erwähnt werden. Mit nochmals anderen Worten: Diese Personenverzeichnis ist völlig nutzlos – was schade ist, denn der Rest des Anhangs ist einigermaßen professionell gestaltet.

Das mit dem Personenverzeichnis ist aber leider symptomatisch für die, sagen wir, technische Seite des Buchs, seine allgemeine Gestaltung. Im Impressum ist zwar eine für Satz und Gestaltung verantwortliche Person angeführt. Ich nenne ihren Namen nicht, denn ich will sie nicht öffentlich bloßstellen. Aber das Layout des Buchs kann nur als katastrophal bezeichnet werden. Nachgerade riesig wirkende Lettern passen nicht zu den schmalen Seitenrändern. Nicht immer glücklich eingefügte Informationskästchen in anderer Schriftgröße, Überschriften in fett ausgezeichneten Großbuchstaben (nicht Kapitälchen!) … Das Ganze sieht aus, als wäre diese Person eine Anfängerin, die gerade mal ihre ersten Schritte mit mit einem Layout-Programm gemacht hat. (So jedenfalls sahen damals auch meine ersten Versuche aus – als Amateur wohlgemerkt! Ich schmeichle mir, später besser geworden zu sein, habe aber nie professionell Layouts erstellt.) Da hat der Verlag die Chance vergeben, zu seinem eigenen Geburtstag Werbung für sich zu machen, schade.

Inhaltlich, wie gesagt, gibt es nichts auszusetzen. Ein ganzes Leben auf nicht ganz 100 Seiten zusammen zu fassen, ist nicht leicht. Auch ist es selbstverständlich, dass man bei diesem Umfang auf die eine oder andere Information verzichten muss. Dennoch freue ich mich, dass mit dieser Biografie für einmal auch wieder auf eine jener Personen aufmerksam gemacht wurde, die man in der Literaturgeschichtsschreibung so gern als zweit- oder drittrangige Hilfskräfte abtut.


Klaus-Werner Haupt: Bertuch. Weltbürger & Visionär. Herausgegeben anlässlich des 20. Gründungstages der Bertuch Verlag GmbH Weimar. Ebenda, 2024.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 13

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