Franz Grillparzer: Weh dem, der lügt!

„‚Trauerspiel‘ heisst es, wenn ein Stück traurig endet; ‚Lustspiel‘, wenn es – nicht traurig endet.“, so oder ähnlich scheint Grillparzer räsonniert zu haben, als er Weh dem, der lügt! ein Lustspiel nannte. Das Publikum – vielleicht auch verwöhnt durch die zeitgenössischen Possen, Zauber- und Volksstücke Raimunds und Nestroys? 1) – schien anderer Meinung zu sein. Grillparzers Lustspiel fiel bei der Premiere 1838 durch. Grillparzer war beleidigt und zog sich vom Theater zurück.

So ganz unschuldig war aber Grillparzer selber auch nicht an diesem Durchfall. Wohl weist das Stück typische Lustpiel- bzw. Komödienelemente auf. Da ist zuvorderst Leon, der gewitzte Diener, der so viel cleverer agiert als alle seine Herren. Da sind die dümmlichen Herren, die manchmal an der Grenze zur Debilität agieren. Doch Leon ist zwar gewitzt, aber nicht (oder nur selten) witzig. Und Figuren, die einen derart niedern IQ haben, dass sie keinen Satz grammatisch vollständig formulieren können, wirken nicht komisch, sondern nur dumm und mitleiderregend. Da kann auch Edrita, eine junge, selbstbewusste Frau, mindestens so gewitzt und witzig wie Leon (damals eine Seltenheit bei neuen Stücken) nicht mehr helfen.

Das Personal, man merkt es sofort, ist aus Shakespeare entnommen, das Thema – so will es auf den ersten Blick scheinen – auch. Auf den zweiten Blick merkt man, dass es beim Thema dem Autor im Grunde genommen viel zu ernst ist, als dass er es in einem Lustpiel abhandeln sollte. Hinter dem Verbot von Leons erstem Herrn (Gregor, Bischof von Chalons), Leon dürfe bei der Befreiung des bischöflichen Neffen keine Lügen anwenden, steht das gerade erst durch Kant und seine Schule wieder in Erinnerung gerufene 9. Gebot:

Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.

Weltliche wie kirchliche Autoritäten verbieten also das Lügen. Leon ist gewitzt genug, das Gebot auszuhebeln, indem er zwar immer die Wahrheit sagt, aber in seinem Gegenüber eine andere Erwartungshaltung weckt – die nämlich, dass er, um den Neffen zu befreien, zur Lüge greifen würde. Grillparzer behandelt das Thema aber dann leider einen Zacken zu steif. Auch ist der Schluss an den Haaren herbeigezogen. Der Bischof von Chalons, vorher ein alter, schwacher und offenbar geistig auch nicht mehr so klarer Mann, ergreift plötzlich die Initiative, greift des Gegners Stadt an, und befreit unsern Helden im letzten Moment. Edrita bekennt sich zu ihrer bis anhin heimlichen Liebe Leon, der Bischof erhebt diesen in den Adelsstand, so dass einer Heirat der beiden nichts im Wege steht.

Happy Ending – und der Zuschauer geht ratlos nach Hause…


1) Ob zwar der tpyische Burgtheatergänger auch (z.B.) das Theater in der Josefsstadt besuchte oder auch nur zur Kenntnis nahm?

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