Titan gilt – zu Recht – als eines der grossen Werke Jean Pauls. Es weist noch nicht die Reife der Flegeljahre auf. Noch hängen dem Autor die Eierschalen der trivialen Schauerromantik gewaltig am Pelz. Wir treffen den Helden der Geschichte, Albano Cesara (auch: Zesara), auf der Isola Bella im Lago Maggiore. Und schon bald wird er und mit ihm der Leser mit wundersamsten Träumen, Visionen und Wahrsagungen konfrontiert. Es ist wahr, die meisten Erscheinungen werden am Ende des Romans einigermassen rational erklärt und bleiben nicht wundersam. Es ist dennoch ein merkwürdiger Einstieg für einen heutigen Leser.
Jean Paul hat mit dem Titan einen Roman im von ihm selber so genannten „hohen“, „italiänischen“ Stil abgeliefert. Die Story hält zusammen, lose Enden bleiben kaum. Insofern ist dieses Werk sicher gelungen, nur schon, weil Jean Paul es tatsächlich beenden konnte, was sonst von seinen Grossprojekten nur noch beim Hesperus gelungen ist. Inhaltlich handelt es sich am ehesten um einen Entwicklungsroman mit Elementen eines Schauerromans. Allerdings ist der Held, Albano, die vielleicht am wenigsten interessante Figur. Alle seine hochfliegenden Pläne werden beschnitten, bis er sich zum Schluss damit begnügt, Herrscher in einem deutschen Duodezfürstentum zu werden. (Dies, nachdem er noch ein paar Seiten vor der überraschenden Wende, dass er der versteckt gehaltene Erbe des Fürstentums ist, auf der Seite des Volkes, d.i. Frankreichs, in den Krieg ziehen wollte – wir schreiben ja das Ende des 18. Jahrhunderts. Nun ja.) Doch die interessanten Figuren sind die, die scheitern und sterben: die schon von Beginn weg todessüchtige Liane, die erste Geliebte Cesaras, die aber eigentlich schon immer zum Vater im Himmel wollte, auch wenn sie die Liebe Cesaras teilt; Linda, die Emanzipierte, Cesaras zweite Geliebte (es ist faszinierend, wie schnell sich der nach dem Ende einer Liebe angeblich so untröstliche Cesara halt dann eben doch trösten kann!), die nachtblind ist und deshalb von Roquairol mit Cesaras Stimme getäuscht, von ihm geschwängert wird (interessant hier die Tatsache, dass Linda von der Schwangerschaft schon runde 48 Stunden nach dem Akt weiss) und sich, nachdem sich Roquairol auf der Bühne das Hirn auspustet, als dessen Witwe fühlt, und Cesara nicht mehr heiraten kann; der schon erwähnte Roquairol, für den das Leben eine Bühne ist, und der entsprechend aus enttäuschter Liebe (Linda fällt ihm nur in der Maske des Cesara zu, den Roquairol verschmäht sie) auf der Bühne im Spiel im wahrsten Sinne des Wortes todernst wird; last but not least Schoppe, der Zyniker, der dem Irrsinn und dann dem Tod verfällt, da er sich von seinem Ich verfolgt glaubt. Diese alle scheitern, nur der Langweiler Albano überlebt und heiratet die auch nicht interessantere Idoine. Denn, wie gesagt: getröstet ist dieser Mann schnell.
Formal also der vielleicht stringenteste aus Jean Pauls Werkstatt: Kaum Abschweifungen, keine theoretischen, zynischen oder witzigen Exkurse. Mag sein, dies war, wie in der Sekundärliteratur öfters behauptet, eine Hommage oder Anlehnung an die Weimarer Klassik. Wenn, dann ist es zugleich eine Verurteilung derselben, indem auch hier, wie schon im Hesperus, der Held sein Glück nur erreicht, nachdem er alle seine Pläne gescheitert sieht und sich mit den Brosamen vom Tisch der Vorsehung begnügen muss, darunter zwar die geliebte Frau, aber kaum mehr.
Die Exkurse konnte Jean Paul dann aber doch nicht ganz lassen. Und so finden wir einen Komischen Anhang zum Titan und die Clavis Fichtiania seu Leibgeberiania. Hervorzuheben in ersterem: Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch. Noch ein Titan, der sich über die Welt erhebt und als Luftschiffer seine kritischen und zynischen Beobachtungen macht. Wie auch die andern Titanen im Hauptteil, muss er sterben, da ihm der Raum auf der Welt zu klein geworden ist. Eine äusserst gelungene Geschichte. Das zweite stammt angeblich aus der Hinterlassenschaft Leibgebers, den wir aus dem Siebenkäs kennen, und als der sich Schoppe aus dem Titan bei seinem Tod entpuppt hat. Es ist Jean Pauls Abrechnung mit Fichtes Erkenntnistheorie, indem er Fichtes Ausführungen und den Anthropomorphismus, der sich in Fichtes Ich versteckt, das das Objekt setzt, auf die Spitze treibt und damit ad absurdum führt.
Es wundert wohl nicht, dass Jean Pauls Abkehr von seiner gewohnten Erzählweise beim zeitgenössischen Publikum nicht so gut ankam. Im 19. Jahrhundert war sein Stern beim Publikum bereits wieder im Sinken. Dass dieser Roman bei allen seinen Schwächen dennoch ein Muss ist für jeden an Literatur Interessierten, auch ein Genuss für die Lektüre, kann ich allerdings nur bestätigen.
Diese interpretierende Zuammenfassung ist nützlich und im Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem auch richtig. Aber sie kratzt doch leider nur an der Oberfläche. Als Ergänzung sei hier Walter Höllerers Nachwort im 3. Band der Sämtlichen Werke (2000) genannt.