Täxtzit ist Schweizerdeutsch und steht für ‚Textzeit‘ – Zeit für Texte. Die Schweizer Literaturschrift, Präsentationsforum für Schreibende und Illustrierende, wie sie sich weiter im Untertitel nennt, erscheint jährlich. Sie versammelt kürzere Texte. Aufnahmekriterium ist, bisher unveröffentlicht zu sein und einen Bezug zur Schweiz zu haben. Ich bin mir bei ersterem nicht sicher, ob das in dieser Nummer durchgehalten wird, bei letzterem scheint es zu genügen, wenn in einem Nebensatz der Hauptbahnhof Zürich genannt wird. Als Herausgeber zeichnet Arno Seeli. Ich kannte diese Zeitschrift vorher nicht. Schauen wir also, was sich da so findet.
Als ersten Text finden wir Immer wenn es regnet von Stella Steijskal. Natürlich ist die Geschichte traurig, denn es regnet. Im Übrigen handelt es sich um eine jener typischen Coming-of-Age-Stories, die Probleme einer jungen Frau mit ihrer Familie und Herkunft, die ich schon bei Leutenegger und Abonji nicht mochte.
Das Manuskript von Sandra Rutschi weist nicht nur eine Pointe auf, sondern zum Schluss sogar, was Erich Kästner die Überpointe genannt hat- eine nochmalige Kehrtwendung im Geschehen. Die Geschichte dreht sich um ein lange, allzu lange bei einem Literaturagenten liegen gebliebenes Roman-Manuskript. Witzig, erfrischend, gut geschrieben.
Blick aus dem Kulturfenster von Dominik Riedo ist ein kleiner Essay zum Thema ‚Kultur‘. Ein Essay ist ein Versuch, dieser hier der Versuch, kulturpolitisch dahingehend zu wirken, dass nicht an den Ausgaben für ebendiese Kultur gespart werde. Was ‚Kultur‘ aber sein soll, ausser der Möglichkeit, Verknüpfungen herzustellen […] zwischen dem Jetzt und dem Damals, zwischen dem Jetzt und dem Später wird leider nicht genauer definiert.
Annalisa Hartmanns Im Zwischengeschoss ist jene Geschichte, die im Hauptbahnhof Zürich spielt. Sie lässt mich einigermassen ratlos zurück. Ein Literatur-Fan-Girl, das eine Lesung von Pedro Lenz besucht hat und sich die daraus resultierende Hochstimmung nicht verderben lassen will… Was habe ich als Leser davon? Ich kann einzig bestätigen, dass Pedro Lenz seine Bücher mit Herzlich für … signiert.
Herbstgedanken von Estella Studer sind die Erinnerungen einer jungen Frau an ihren Grossvater. Während Väter bei jungen Frauen offenbar schlechte Karten haben, sind Grossvater hoch im Kurs. Verstorbener Grossväter wird melancholisch gedacht, selbstverständlich im Herbst…
Nicht ratlos, sondern verärgert reagiere ich auf Kerze im Sturm von Haiko Behrens. Hauptperson ist Sabine, eine aus Nordfriesland in die Schweiz eingewanderte und nun hier an einem ungenannten Ort tätige Pfarrerin. Eines Nachts fegt ein Sturm übers Land. Was zunächst aussieht, wie die melancholischen Erinnerungen eines Emmigranten an seine Heimat, wird durch das Auftauchen eines Polizisten am nächsten Tag zur Farce. Zu einer schlechten Farce. Die Pfarrerin ist nämlich der Grabschändung angezeigt worden, weil nach dem Sturm auf einem der Gräber eine Kerze fehlt. Der Polizist ist fest von Sabines Schuld überzeugt, und erst das Auffinden der vom Sturm verwehten Kerze überzeugt ihn vom Gegenteil. Ich will keineswegs leugnen, dass auch in der Schweiz xenophobe Tendenzen existieren, und dass gerade deutsche Immigranten nicht überall willkommen sind – im Gegenteil. Aber diese Geschichte hakt an allen Ecken und Enden. Kerzen auf dem Grab z.B. sind hierzulande eine katholische Tradition, und wenn die Jungen das nicht mehr wissen, so kennen diese auch den Tatbestand einer Grabschändung nicht mehr. Da die katholische Kirche auch in der Schweiz keine weiblichen Priester kennt, muss Sabine also reformiert sein und einer reformierten Gemeinde vorstehen. Wohl nur noch tief auf dem Lande würde man aber von sich aus jemanden als Grabschänderin anzeigen. Tief auf dem Lande aber herrscht auch dahingehend Zucht und Ordnung, dass der Dorfpfarrer, auch wenn es eine Frau, auch wenn es eine Deutsche ist, als Autoritätsperson gilt, die man nicht einfach so angreift. Ich kann natürlich nicht sagen, dass die Geschichte sich so nicht hätte ereignen können. Aber dann hätte sie anders erzählt werden müssen.
Immer ist alles schön ist ein Ausschnitt aus Julia Webers Debütroman gleichen Namens. Man sollte keine Ausschnitte aus längeren Texten publizieren – auch dann nicht, wenn man für diesen Text Werbung machen will.
Die Bloggerin und Journalistin Bettina Schnerr, die mir diese Nummer von Täxtzit® auch zugehalten hat, ist mit der kleinen Satire Bügeln oder Wertstoffhof vertreten, in dem sich die ebenfalls aus Deutschland Eingewanderte darüber amüsiert, dass hierzulande – jedenfalls noch auf dem Land – das Altpapier in regelmässigen Abständen von lokalen Vereinen gesammelt wird. Man stellt es hiefür in handliche Bündel zusammengeschnürt an den Strassenrand, und die Ich-Erzählerin stellt entsetzt fest, dass alle ihre Nachbarn das Altpapier fein säuberlich nach Zeitungen, Zeitschriften etc. sortieren und mit dem Lineal ausgerichtet zusammenbinden. Nun ja: Ich binde mein Altpapier schon seit Jahrzehnten zusammen und stelle es auf die Strasse; ich kann Bettina Schnerr versichern, dass meine Bündel keineswegs sortiere oder mit dem Lineal ausrichte, und dass ich das auch noch nie gesehen habe. (Dafür bin ich meinerseits amüsiert und auch verwirrt, wenn ich in Deutschland mal wieder überlegen muss, welcher Abfall nun in welche Tonne gehört.)
Euro-Night 40467 von Sarah King ist die Geschichte einer nächtlichen Zugfahrt, mit phantastisch-gruseligem Einschlag. Nicht uninteressant, da wäre ich auf etwas Längeres der Autorin gespannt.
Andreas Friedli hat unter dem Titel Jahreszeiten (und ein paar Seiten weiter unter Nacht) einige Gedichte beigetragen. Bei Lyrik zeigt sich immer wieder, dass Arno Schmidts Diktum, wonach die Lyriker ihre Werke einfach hinschludern, in den meisten Fällen (wenn man nämlich nicht gerade Goethe heisst) nicht befolgt werden sollte. Auch, ja gerade Gedichte benötigen viel, viel Schleifen und Ändern. Diesen hier fehlt das, und so haben wir allenfalls (mässig gute) Aphorismen vor uns, denen eine Pointe ebenso fehlt, wie ein Inhalt oder ein Rhythmus.
In Mein Traum erzählt Karin Schäublin davon wie wie sie (oder jedenfalls die Ich-Erzählerin) im Alter von 35 Jahren (dem Alter der Autorin beim Verfassen des Textes) sich entschliesst, ihren Traum zu verwirklichen und zu schreiben. Generation Facebook, die hemmungslos Privates öffentlich macht, auch wenn es niemanden interessiert, lässt grüssen.
Sommer im Stiggrabo von Patricia Aschilier sind Erinnerungen einer Erzählerin an Ferien bei den Grosseltern im Wallis. Zur Abwechslung kann hier einmal eine Frau an ihre Kindheit zurückdenken, ohne dabei grosse Probleme aufzuwirbeln. Allerdings versandet dann die Geschichte auch in ziemlicher Belanglosigkeit – eine nette Anekdote, die man im Familienkreis erzählen sollte, den eigenen Enkeln nämlich.
Barbara Schibli erzählt in Flechten, ein Roman davon, wie sie reagiert hat, als sie erfuhr, dass sie für ihren Debütroman Flechten den Studer/Ganz-Preis 2016 erhielt. Generation Facebook halt…
Es folgt ein kleines Stück phantastischer Satire. Drei Wesen beschliessen, zusammen ein Modell zu bauen, wie die perfekte Welt aussehen sollte. Es zeigt sich, dass es sich bei den drei um Engel handelt; einer davon ist Luzifer. Sie pfuschen Gott in sein Schöpfungswerk, indem sie einen perfekten Teil Welt – Ein abgestimmtes Uhrwerk – kreieren, nämlich die Schweiz. Von Anna Hitz mehr Derartiges zu lesen, könnte ich mir vorstellen.
Doris Faiss‚ Urlaubspläne zeigt an Hand der Schilderung einer Urlaubsplanung die gescheiterte Beziehung eines Pärchens auf. Nichts Umwerfendes, aber akzeptabel.
In Ludwigs Töchter von Dorothe Zürcher erfährt die Ich-Erzählerin eine Art Vision der Töchter Ludwigs des Deutschen, deren eine in Zürich ein Kloster geleitet hatte. Diese Vermischung von Geschichtsschreibung, Fantasy und alternate history ist nicht mein Ding, ist aber in diesem Fall zumindest sauber verfasst.
Was ich mit Spurlos (noch einmal: Estella Studer) anfangen soll, weiss ich nicht.
Tumulte von Irmeli Vogt ist eine weitere Geschichte um traurige Erinnerungen.
Lebendig begraben von Moni Thöny ist die Geschichte eines Menschen, der bei einer Gletscherwanderung in eine Eisspalte fällt, und erinnert an Ähnliches, das in den 1960ern en vogue war.
Es folgt eine weitere Erzählung davon, wie eine zum Schreiben kam: Granada Grischun, Erzählungen von Romana Ganzoni. Passons.
Abermals Kindheitserinnerungen einer jungen Frau bringt Kalter Hauch von Sarah Stutte. Sprachlich in Ordnung; inhaltlich déjà-vu.
Zu guter Letzt bringt der Herausgeber Arno Seeli noch selber eine Geschichte ein: Anba. Offenbar der Keim zu einem allenfalls noch zu schreibenden Roman. Man sollte Keime in Ruhe keimen lassen und sie nicht zu früh dem Licht der Öffentlichkeit aussetzen…
Ein Wort noch zu den Illustrationen von Jesse Jon Meyer: Sie wirken recht unbeholfen – als hätte Meyer nie wirklich zeichnen gelernt – jedenfalls nicht menschliche Figuren. Was bei Sylke Bambilke zum Charme des Werks beitrug, ist bei einem Präsentationsforum für […] Illustrierende einfach nur ärgerlich.
Fazit: N° 9 von Täxtzit® kann man lesen. Muss man nicht.