In Band III der von Fritz Medicus herausgegeben Werkausgabe finden sich verschiedene kürzere Schriften Fichtes aus der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Nicht alle kann man als eigentlich philosophisch qualifizieren, die meisten haben (mindestens) einen starken polemischen Unterton.
Das ist verständlich, waren doch die Jahre 1798 und 1799 jene des berühmten Atheismus-Streits. Fichte hat 1798 Friedrich Karl Forbergs Artikel Entwickelung des Begriffs der Religion veröffentlicht, mit einem zustimmenden Nachwort. In Forbergs Beitrag wurde in konsequenter Weiterentwicklung der betreffenden Gedanken Immanuel Kants festgehalten, dass die Existenz Gottes weder durch Offenbarung noch durch theoretische Spekulation begründbar und daher nur im Sinne einer Als-Ob-Existenz im Dienst der Moralphilosophie anzunehmen ist. Will sagen: eine moralische Weltordnung kann in theoretischer Hinsicht auch ohne Gott begründet werden.
Dieser Artikel, bzw. sein beistimmendes Nachwort, kostete Fichte seine Professur in Jena. (Beide Texte sind in Band III vorhanden. Für heutige Begriffe sind sie natürlich harmlos.) Fichte fühlte sich höchst missverstanden, und so finden wir in der Zeit zwischen 1798 und 1801 verschiedene kleinere Werke, in denen er seine philosophische bzw. seine religiöse Position klarzustellen versuchte. Allerdings gewann meist der Polemiker über den Philosophen die Oberhand: Sowohl die Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre wie die Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre bringen keine philosophischen Klärungen, sondern Invektiven gegen Fichtes philosophische Gegner. Zwei weitere Schriften aus jener Zeit zur Wissenschaftslehre, Die Bestimmung des Menschen und Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neueren Philosophie, sind, wie es schon der zweite Titel sagt, für einmal nicht als Fachpublikation gedacht, sondern richten sich an den interessierten Laien, von dem Fichte eine vorurteilsfreiere Rezeption seiner Gedanken erwartet als vom Fachmann und Professor der Philosophie, der letzten Endes ja auch sein eigen Brot zu verteidigen hat. Die Bestimmung des Menschen scheint übrigens bis heute in gewissen esoterischen Kreisen gelesen zu werden, was mich insofern nicht wundert, als dass Fichte den klassischen Faux-pas eines jeden Esoterikers begeht, seine Schriften gegen Kritik immunisieren zu wollen, indem der vom Leser verlangt, sich ganz auf seine, Fichtes, Terminologie und Denken einzulassen und nicht ‚von aussen‘ nach Fehlern zu suchen. Auch die Titel der drei Bücher, aus denen die Bestimmung besteht, haben starken esoterischen Appeal: Zweifel, Wissen, Glauben. Philosophischen Gehalt haben sie hingegen wenig. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen [Hervorhebung meinerseits] – wie Fichte im Untertitel des Sonnenklaren Berichts seine eigene Haltung so schön verräterisch charakterisiert.
Im übrigen ist der philosophische Ertrag dieser Jahre gering. Am interessantesten ist vielleicht, dass Fichte mittlerweile seiner (und Kants!) Philosophie den Namen transzendentaler Idealismus gibt (nachdem er sich bisher gegen das Etikett ‚Idealismus‘ für seine Erkenntnistheorie gewehrt hatte!), und dass er zugibt, dass Kant sich von ihm und seinem Denken losgesagt hat. Allerdings müssen doch noch zwei nicht-philosophische Schriften aus jener Zeit erwähnt werden:
Da ist zum einen Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik. Ich weiss nicht, was Fichte auf die Idee brachte, einen nationalökonomischen Text zu verfassen. Ich weiss noch weniger, was ihn auf die Idee brachte, dass er von diesem Thema eine Ahnung haben könnte. Was Fichte vorschlägt, ist nicht mehr und nicht weniger, als dass jeder Staat autark existieren sollte, nur Produkte aus dem Inland und nur im Inland verarbeiten und handeln. Eine durch den Staat gelenkte Marktwirtschaft solle allen Produzenten und Kaufleuten ihren Absatz zu einem garantierten Preis sicher stellen und ebenso allen Konsumenten die Möglichekeit eines Kaufs landeseigener Produkte zu einem garantierten Preis sichern. Was nicht im Lande hergestellt werden könne, müsse durch ähnliche, aber indigene Produkte ersetzt werden – oder aber der Konsument muss darauf verzichten. Eine landesspezifische Währung soll die Weltwährung Gold und Silber ersetzen. Wenn wir dann noch lesen, dass der Staat seine Wirtschaft jeweils auf fünf Jahre hinaus planen soll, wissen wir, woran wir sind, und woran Fichtes geschloßner Handelsstaat in der Praxis scheitern wird. (In der Theorie umschifft Fichte viele Probleme mit der Aussage, dass er selbstverständlich die Details dem breiten Publikum nicht verraten dürfe.)
Der letzte Text in Band III ist eine streckenweise nicht übel gelungene Satire auf Friedrich Nicolai, den berühmten Berliner Aufklärer und kritischen Hansdampf-in-allen-Gassen. Nicolai hatte Fichte ein paar Mal recht grob kritisiert, und so verfasste der Philosoph eine Replik in Form eines fiktiven, 1840 erscheinenden Nachrufs auf den Berliner. Ursprünglich war Fichtes Text nicht zur Veröffentlichung gedacht, aber A. W. Schlegel, der Satire fast so sehr liebte wie sein Bruder, und der zusammen mit seinem Bruder auch unter Nicolais Kritikasterei zu leiden hatte, konnte Fichtes Text herausgeben und bevorworten. Und so schliesst der Band mit Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen. Schlegels Vorwort ist ebenfalls aufgeführt; und wir finden, zumindest so lange, bis Fichte seine eigene Behandlung durch Nicolai behandelt, eine satirische Vignette von Nicolais Persönlichkeit, die dessen Anspruch darauf, alles zu wissen, alles kritisieren zu können wunderhübsch darstellt. Fichte ist natürlich Partei, und so werden wir die positiven Seiten in Nicolais Denken und Handeln hier ausgespart finden.
Alles in allem enthält Band III eine bunte Mischung und ist auch für Laien leichter lesbar als Fichtes grosse und schwere Entwürfe zur Wissenschaftslehre.