Die Horen. Jahrgang 1796. Achtes Stück

Dass die Qualität der Horen-Beiträge seit einiger Zeit nachlässt, haben wir sowohl hier wie im Forum schon mehrmals festgestellt. Allerdings geht dieser Prozess keineswegs kontinuierlich vor sich. Und so haben wir mit dem achten Stück des Jahres 1796 zur Abwechslung eine durchaus respektable Nummer dieser Zeitschrift vor uns.

Diese Respektabilität verdankt die N° 8 allerdings vor allem einem Beitrag. Das ist nicht Woltmanns Fortsetzung der Geschichte Theoderichs. Die bleibt – wie schon in der vorher gehenden Nummer – brav, ist allenfalls als für zeitgenössische Verhältnisse in Ordnung zu taxieren. Die recht deutlich spürbare Frankophobie wäre heute ein wissenschaftliches No-Go; aus der Situtation jener Zeit ist sie verständlich und ist Woltmanns Zeitgenossen vielleicht nicht einmal aufgefallen. Theoderich wird der Schutz jüdischer Synagogen zu Gute gehalten, und das versöhnt den heutigen Leser ein wenig mit Woltmanns Frankophobie. Dass Boethius fast zum Heiligen und Märtyrer des katholischen Glaubens stilisiert wird, muss da fast nur noch im Vorbeigehen moniert werden.

Die vom ansonsten unbekannten Samuel Gottlieb Bürde übersetzten Elegien des hierzulande ansonsten ebenso unbekannten John Scott vermögen leider auch nicht, dem Leser Laute des Entzückens zu entlocken.  Höchstens den Geschichtsschreiber vermag die verdeckte Auflehnung des englischen Lyrikers gegen die einsetzende Industrialisierung zu interessieren. Ähnliches gilt für das neugriechische Sittengemälde über Gemil und Zoe, in dem der Griechentaumel, der wenig später Europa erfassen sollte, bereits erste Spuren hinterlässt. Der Autor, Gerhard Anton von Halem, lehnt sich an die Balladen-Dichtung Schillers und Goethes an, ohne z.B. den Spannungsbogen so brilliant führen zu können wie diese beiden. Deshalb dann wohl auch die Qualifizierung dieser Dichtung als Gemälde, das – im Gegensatz zu einer Ballade – eben ruhig sein darf oder gar soll.

Nein, das Lob dieser Nummer gehört einzig dem Beitrag Goethes: Briefe auf einer Reise nach dem Gotthardt. In seiner Schilderung einer Reise vom südlichen Jura über Genf, das Waadtland und das Wallis auf den Gotthard-Pass ist Goethe in seinem Element. Goethe kann sich völlig auf die Schilderung der Landschaft konzentrieren; die Menschen sind nur nebensächliche Staffage auf dieser Reise. Das gilt selbst für die kurze Visite bei de Saussure, den die Reisegruppe auf seinem Landsitz in der Nähe von Genf besucht. Ziel und Zweck dieses Besuchs ist nur, eine Wetterprognose für die nächsten Tage zu erhalten, für die Reise von Genf über die Gotthard-Passhöhe nach Luzern. Es tut Goethes Stil gut, dass er für einmal kaum Menschen und kaum Gespräche zu schildern hat, in der Schilderung der Gebirgslandschaften kann sich das Auge des Naturforschers und -beobachters mit dem des Malers verbinden und danach die sprachliche Geschmeidigkeit des malenden Schriftstellers evozieren. Er gibt selber zu, dass er da oben die Menschen beinahe vergessen hat – und scheint seine Sprache vom Zwang der sonst bei ihm üblichen, durchs Amtsdeutsch verdorbenen Ausdrucksform zu lösen. Ein kleiner Diamant in der Fassung der ansonsten immer langweiliger werdenden Horen.

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