Ernst Topitsch: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik

Mit diesem, 1958 erschienenen Werk wurde Ernst Topitsch weit über die Grenzen der deutschsprachigen Philosophie hinaus bekannt – und das zu Recht. Auch wenn seine späteren Arbeiten eine teilweise Paraphrasierung dieses ersten Buches darstellen (bei welchem Philosophen finden sich nicht die Spuren eines erfolgreichen Einstiegs in die Welt der Philosophie) und diesen Grundgedanken oft nur einen neuen Anstrich verleihen, sie auf neue Problemfelder anwenden, so ändert das nichts an der Bedeutung dieses Buches.

Topitsch analysiert – im Sinne von Nestles Werk „Vom Mythos zum Logos“ – die mythisch-archaischen Grundlagen aller Philosophie bis auf die Gegenwart (während Nestles Ansatz sich auf die Vorsokratiker beschränkt) und weist diese mythologischen Spuren in der gesamten Philosophiegeschichte von Platon und Aristoteles bis zu Kant, Hegel oder Marx (später auch bei Habermas) nach. Die ursprünglichen Welterklärungsentwürfe werden – in teilweisem Anklang an Feuerbach – als höchst menschlich ausgewiesen: Alle diese Modelle können auf technomorphe, biomorphe (anthropomorphe) und soziomorphe Konzeptionen zurückgeführt werden, in denen jene dem Menschen vertraute Umwelt als Folie für philosophisch-kosmologische Modelle dient, wobei durch eine Rückinterpretation aus diesen Modellen wieder vom scheinbaren So-Sein auf das Soll-Sein geschlossen wird. So werden etwa reale, irdische Machtverhältnisse (König, Hofstaat, Untertanen) in das kosmologische Erklärungsmodell verlegt (Gott als König und Herrscher, die Menschen als Untertanen) und dieses Modell wird hinwiederum idealisiert auf die reale Welt rückübertragen. In diesem Zusammenhang wird häufig auch ein entsprechendes Normengefüge als „gott-(natur)gewollt“ mitgeliefert, das dann die realen Machtverhältnisse legitimieren kann.

Solche Normen können selbstverständlich nur Leerformeln enthalten, sie sind zirkelhaft, indem sie vorhandene Positionen auf den intentional oder biomorph gedeuteten Kosmos beziehen und aus diesem wieder auf das menschliche Leben, Wollen und Handeln beziehen. Auch ohne diese Zirkelhaftigkeit würde eine solche Normierung scheitern, da eine Anwendung von „natürlichen“ Setzungen sich des naturalistischen Fehlschlusses schuldig machen würde. Die Unterscheidung zwischen Erkennen und Werten ist ein philosophiegeschichtlich relativ spätes Ereignis: Erst Hume wies die die mangelnde Plausibilität solcher Verfahren nach.

Werden nun aber Handlungsfolgen aus solchen Modellen abgeleitet (zumeist belässt man es bei einer Interpretation der Ereignisse post festum) so besteht die nicht unerhebliche Gefahr, dass diese Prognosen sich als falsch herausstellen und dadurch einer zusätzlichen Rechtfertigung bedürfen. Der – unvermeidliche – Zusammenstoß von Prognose und Empirie führte letztendlich auch zur sukzessiven Diskreditierung dieser Weltbilder, obschon auch heute noch kein Mangel an Philosophien dieses Zuschnitts herrscht, deren Hauptaugenmerk auf unterschiedlichen, oft subtilen, aber immer zum Scheitern verurteilten Immunisierungsstrategien liegt. Marx und Hegel wird im Grunde das gleiche Schicksal zuteil wie der Astrologie: Sie werden vom Gang der Geschichte ad absurdum geführt.

Der Unterschied zwischen Mythos und Philosophie metaphysischen Zuschnitts ist häufig ein bloß äußerlicher: Eine verschwommene und abstrakte Terminologie ersetzt die Metaphorik des Mythos, doch die wertende Deutung nach dem Modell des menschlichen Handelns und Erlebens und die Rückbeziehung dieses so entstandenen Weltbildes wird auch heute noch mit größter Selbstverständlichkeit vollzogen. Wenn nun diese Konzepte mit Unbedingtheitsanspruch vertreten werden, entstehen jene Aporien (moralphilosophischer Provenienz), mit denen die Denker über Jahrtausende vergeblich gerungen haben (und ringen werden).

Topitsch liefert in einer klaren und verständlichen Sprache eine Unzahl an Beispielen für diese seine These, führt so durch die gesamte Philosophiegeschichte und zeigt, dass deren Probleme wesentlich durch eine solche, häufig unbewusste Rückübertragung bereits vorhandener Wertungen entstehen. Durch die aus diesem Prozess entstehende Dogmatisierung sind Widersprüche unvermeidlich: Erst eine Besinnung auf die Kontingenz des Weltgeschehens, die dem Sollen den Absolutheitsanspruch entzieht, können diese Paradoxien aufgelöst werden.

Das Werk ist auch nach über 50 Jahren aktuell und zeigt eindrucksvoll die unzähligen, sich ähnelnden und stets scheiternden Versuche einer Normensetzung mythischer (metaphysischer oder theologischer) Herkunft. Auch wenn sie philosophisch-logisch unhaltbar sind, so zeugen sie doch vom tiefen Bedürfnis nach einer sicheren, berechenbaren und damit heimeligen Welt: Nichts scheint dem Menschen unangenehmer zu sein als ein wertfreier, kontingenter Kosmos. Dabei wird häufig übersehen, dass damit keineswegs einer nihilistischen Haltung das Wort geredet wird – im Gegenteil: Wir haben die Freiheit, unser Sollen selbst zu bestimmen. Nur müssen wir uns der Reversibilität und Relativität unserer Normen stets bewusst sein.

Topitschs Werk ist – wie erwähnt – von unzweifelhaft großer philosophisch-erkenntnistheoretischer Bedeutung. Dass er heute kaum Erwähnung findet oder gar runde Geburts- bzw. Todestage mit entsprechendem Hinweis auf sein Schaffen mehr-weniger lobend begangen werden, dürfte an seinem letzten Buch liegen: Stalins Krieg. Hier vertritt er die Präventivkriegsthese, die – unter Historikern – als unhaltbar und widerlegt gilt. Nun ist eine krude Theorie das eine (über eine solche kann man diskutieren und anhand von Argumenten befinden), ein anderes aber ist Topitschs Versuch, seinen Thesen durch Publikation in rechtsradikalen Zeitschriften Gehör zu verschaffen. Inwieweit das Buch einen historisch ernst zu nehmenden Kern beinhaltet oder aber ein revisionistisch-apologetisches Elaborat darstellt, vermag ich nicht zu sagen: Ich kenne das Buch (noch) nicht. Unabhängig vom Inhalt des Buches hat er sich aber durch die Nähe zu Personen wie David Irving nachhaltig diskreditiert und damit auch seinem philosophischen Schaffen großen Schaden zugefügt.

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