Tobias O. Meißner: Barbarendämmerung

Ein Buch, das mich gleich mal vor taxonomische Probleme stellt: Handelt es sich bei Barbarendämmerung von Tobias O. Meißner nun um einen Roman oder doch um eine Sammlung von Kurzgeschichten? Eigentlich lässt sich ja jedes Kapitel dieses Buchs als eigenständige Kurzgeschichte lesen. Aber die Kurzgeschichten sind chronologisch angeordnet, und im Grunde genommen bewegt sich der Leser auf einer Art Wendeltreppe: am gleichen Ort, zu Beginn wie am Schluss – und dennoch irgendwie eine Etage höher (oder tiefer?). Nämlich zu Beginn wie am Schluss steht der barbarische Protagonist kurz davor, enthauptet zu werden, zu Beginn wie am Schluss entkommt er. Dennoch wage ich zu behaupten, dass der Barbar des Beginns aufgrund seiner durchlebten Abenteuer nicht der ist, der er am Schluss ist. (Was keineswegs bedeutet, dass der Barbar ein über sich selbst nachdenkendes Wesen geworden wäre!)

Das Ganze ist natürlich erst einmal eine Hommage an Robert E. Howards Conan. Wie sein berühmter Vorgänger ist auch dieser Barbar ein Einzelgänger, wie sein berühmter Vorgänger hat er offenbar weder Familie noch Freunde. Im Gegensatz zu seinem berühmten Vorgänger hat Tobias O. Meißners Barbar auch keinen Namen und keine Sprache.

„Zivilisation ist unnatürlich. Sie ist eine Laune des Zufalls. Aber die Barbarei wird letztlich immer die Oberhand behalten.“ – Mit diesem berühmten Satz aus Howards Conan-Geschichte Jenseits des Schwarzen Flusses auf dem Vorsatzblatt lässt Meißner den Leser in seine Barbaren-Geschichten eintauchen. Was als Motto über allen Conan-Geschichten schwebt und letztlich auch Howards bewusstes Denken beherrschte (sein unbewusstes wohl weniger: Howard blieb bis zuletzt als Muttersöhnchen im Elternhaus kleben, und als seine Mutter im Sterben lag, wollte er das nicht überleben und erschoss sich, noch bevor die Mutter ihren letzten Kampf verloren hatte …) – dieses Motto der Conan-Geschichten also bestimmt auch unseren „modernen“ Barbaren.

Aber Meißner ist ein intelligenter und belesener Autor. Er weiss, dass die Art und Weise, wie Howard vor zwei oder drei Generationen Geschichten geschrieben hat, heute nur noch nostalgisch oder historisch-kritisch geschätzt werden kann. Howard hat zweifellos gute Geschichten geschrieben, aber so könnte heute keiner mehr schreiben. Die Postmoderne ist auch in der Fantasy angekommen, auch und gerade dann, wenn sie ihre alten Vorbilder zitiert. Und so wechselt z.B. die Sprache, wechselt der Stil zum Teil von Kapitel zu Kapitel (selbst eines in Gedichtform existiert). Die Themen reichen von typischen Szenen aus Conan-Geschichten (der Barbar als gedungener Dieb, als Söldner) über de Sade’sche Intermezzi, wo Tod und Qual immer auch sexuelle Begierde erzeugen, bis hin zu apokalyptischen Szenen mit Zombies in Sümpfen oder dekadenten Szenen in Lautréamont’scher Manier, wenn Kinder lebendig in heissem Öl frittiert und anschliessend verspiesen werden. (Dekadent oder antik? Auch die alten griechischen Mythen kennen genügend solche Szenen …) Letzten Endes entpuppt sich wie bei Howard der Barbar als der einzige natürliche und menschliche Mensch – als der edle Wilde. (Trotzdem er zwischendurch auch selber mal ein bisschen mordet, plündert oder vergewaltigt.)

Das Buch ist ein intelligenter Zeitvertreib. Im Grunde genommen ist Tobias O. Meißner ein subversiver Autor, der mit klassischen Versatzstücken der Trivialliteratur spielt, sie neu zusammensetzt und so dem Leser nicht nur die übliche „Âventiure“, die übliche Queste, die üblichen Raufereien vorsetzt, sondern ihm immer auch ein literarisches Puzzle zur Lösung aufgibt.

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