Phoebe Atwood Taylor: Schlag nach bei Shakespeare [Beginning with a Bash]

Leonidas Xenophon Witherall war bis zu seiner Pensionierung Lehrer an einem College in der Nähe Bostons. Da er eine gute Pension hatte und etwas Geld beiseite legen konnte, ging er nach seiner Pensionierung zuerst einmal auf Weltreise. Zurück von dieser musste er feststellen, dass sowohl Vermögen wie Pension sich in Luft aufgelöst hatten, und er gezwungen war, seinen Lebensunterhalt als Hausmeister zu verdienen. Es gehörte zu seiner Aufgabe, in einem alten Gebäude in Boston im Winter die Heizung im Keller zu bedienen. Ausser ihm, der in der Hausmeisterswohnung zuoberst unterm Dach wohnte, gab es nur noch ein Antiquariat im Haus; der Rest der Wohnungen / Büros stand leer. Handlungszeit und Handlungsort entsprechen ziemlich genau Entstehungszeit und -ort: Wir stehen bei beiden zu Beginn der Ära Roosevelt (1932/33); Phoebe Atwood Taylor wurde 1909 in Boston geboren und verbrachte dort einen grossen Teil ihres Lebens bis zu ihrem Tod 1976.

Die Ausgangslage des Romans ist das zufällige Auftauchen von Martin Jones im Antiquariat, dessen Heizung ‚Bill‘, wie man Witherall nennt, betreut. Auch Jones muss schon mal bessere Tage gesehen haben. Jetzt aber ist er auf der Flucht vor der Polizei, die ihn verdächtigt, seinem Arbeitgeber ein Bündel Inhaberschuldverschreibungen im Wert von $ 40’000.00 gestohlen zu haben. Es ist beissend kalter Winter. An der Türe zum Antiquariat hängt ein Schild Gut geheizt, aber Martin Jones wird es rasch bereuen, eingetreten zu sein. Denn noch während er drin ist, wird sein ehemaliger Arbeitgeber in ebendiesem Antiquariat erschlagen und tot aufgefunden.

Auch wenn die Basis von Taylors Romanen sehr real ist – ihre Romane sind eher skurril. Phoebe Atwood Taylor gelingt es, das klassische Who-dunn’it-Puzzle um den geschlossenen Raum, der nur einen Ausgang hat, und dieser von verschiedenen Personen gut bewacht, mit einer Anhäufung schräger Typen zu kombinieren. Witherall, ihr Amateurdetektiv, sieht aus wie William Shakespeare. (So sehr, dass ein Revolverblatt, das über sein kurzzeitiges Verschwinden im Laufe der Geschichte berichtet, mangels echtem Foto einen Stich von Shakespeare zur Illustration verwendet.) Um den verhafteten Jones zu befreien, gibt sich ‚Bill Shakespeare‘ 40 Stunden Zeit für eigene Recherchen. Dot, die junge und frischgebackene Besitzerin des Antiquariats schliesst sich an. Sie hat das Antiquariat eben erst geerbt; Jones war mit ihr an der Universität befreundet. Vom ganzen Team, das Witherall um sich sammelt, ist sie noch die ’normalste‘ Person. Gerty, das Dienstmädchen des Toten, schliesst sich ‚Bill‘ ebenfalls an – mit ihr Freddy, ihr Geliebter und Anführer einer mafiösen Gang in Boston. (Nur dumm, dass Gertys Bruder Anführer einer rivalisierenden Gang ist. Romeo und Julia lassen grüssen – auch wenn die Liebe hier ein glückliches Ende findet.) Last but not least ist da Agatha, eine reiche Witwe, die nicht nur jeden in Boston kennt, den man kennen muss, und durch ihre Beziehungen so manche vertrackte Situation löst, sondern auch vor Jahrzehnten einmal die grosse Tanzstundenliebe des Leonidas Witherall war – und er die ihre. Schon in der Mitte des Romans ist die Identität des wirklichen Täters klar, und es geht nur noch darum die versteckten Papiere zu finden und den Täter dazu zu bringen, ein Geständnis abzulegen. Das ist nicht ganz so einfach, werden doch unsere Amateur-Ermittler sowohl von der Polizei wie von der Gang von Gertys Bruder gejagt.

Phoebe Atwood Taylor ist so etwas gelungen wie die Erfindung des komischen Kriminalromans. Noch vor Crispin setzt sie Skurrilität der Figuren und aberwitzige Situationen als Mittel zur Komik ein. Das geht dann gern zu Lasten einer Logik der Handlung; Tayler setzt z.B. ungeniert Geheimgänge in alten Häusern ein, um eine Situation auflösen zu können. Dass Cripins wie Taylors Protagonisten akademische Lehrer sind, mag Zufall sein oder dem Phänomen geschuldet, dass so viele mehr oder weniger skurrile Lehrer die Literatur jener Zeit bevölkern. (Was wiederum einer déformation professionelle des Standes zu jener Zeit entsprochen haben mag.)

Ansonsten sei hier nur so viel verraten, dass antiquarisch verscherbelte Bücher (bzw. ein ganz bestimmter, ansonsten wertloser Band) die heisse Spur liefern zur Auffindung des Schatzes, dass Whitherall seine akademischen Kenntnisse sehr wohl zu Gute kommen (er kann als einziger die Wegbeschreibung, also die Schatzkarte, lesen, weil er als einziger phonetische Umschrift entziffern kann), und dass Witherall mein Herz gewonnen hat, als er bei einer Flucht aus dem Antiquariat Feuer legte. Bzw. danach, als Dot, die Inhaberin, schon alles verbrannt sah, er sie aber beruhigte:

[…] Bücher brennen so schnell nicht. Hat jemand von Ihnen schon mal versucht, ein Buch zu verbrennen? Es ist beinahe unmöglich, wenn man nicht den Rücken aufbricht und die Seiten herausreißt. Wenn ich von Königen und Päpsten höre, die Bücher verbrennen ließen [NB: Die Buchverbrennungen der Nazis lagen noch in der Zukunft!], dann frage ich mich jedesmal, wie sie diese Bücher wirklich zum Brennen gebracht haben. Das ist äußerst schwierig. Man braucht fast einen Hochofen dazu.

Endlich eine Romanfigur, die Bescheid weiss!


Mich auf das Buch aufmerksam gemacht, ja mir ihr Exemplar geschenkt, hat übrigens  Bettina Schnerr von Bleisatz. Vielen Dank für den heiteren Tag, den mir dieser Krimi geschenkt hat!

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