Ewald Christian von Kleist: Der Frühling und andere Gedichte

Zwei helle, cremefarbene Streifen links und rechts, in der Mitte ein Ausschnitt aus einem Ölgemälde: Gesichtspartie des Dichters. – Ausschnitt aus dem fürs Buchcover verwendeten Werk von Gottfried Hempel, 1751, heute im Gleimhaus Halberstadt.

Ewald Christian von Kleist war in vieler Hinsicht ein Außenseiter – nicht ganz in demselben Ausmaß zwar wie sein jüngerer entfernter Verwandter Heinrich, aber doch. Sein Elternhaus war nicht sehr reich und so zerschlugen sich seine Pläne, nach einem Studium der Kameralistik irgendwo in einer staatlichen Verwaltung unterzukommen. Einzig eine militärische Laufbahn blieb ihm offen. (Wir befinden uns in jener Zeit, als praktisch jeder, der von Adel war, bei einem Eintritt in die Armee sogleich – und zwar in den Offiziersstand – aufgenommen wurde.) Zunächst stand er in dänischen Diensten, später reklamierte Friedrich II. von Preußen alle Landeskinder für die eigene Armee. Kleist war unter anderem als Werbeoffizier unterwegs. In dieser Funktion entkam er in Zürich nur durch rasche Flucht nach Schaffhausen einer Verhaftung. Er nahm dann im Regiment des Prinzen Heinrich an verschiedenen Kriegszügen teil. Trotz des Umstands, dass es mit seiner Beförderung haperte, blieb er – eine Laufbahn als freier Schriftsteller war ihm wohl zu unsicher. Er starb im Siebenjährigen Krieg, in der Schlacht bei Kunersdorf.

Als Außenseiter habe ich ihn oben bezeichnet. Das zeigt sich schon in seiner viel zu langsamen Beförderung. Obwohl er in einigen Gedichten Preu࣭ßen, dessen Armee und dessen König Friedrich II. über den grünen Klee lobte, war er wohl kaum Militär mit Leib und Seele. Er war offenbar Mitglied einer Freimaurer-Loge geworden (wir wissen aber nicht in welcher), und vor allem: Er schrieb Gedichte.

Er war zu seiner Zeit als Schriftsteller ziemlich erfolgreich und recht bekannt. Dass aber Gleim seine ersten Gedichte für die Veröffentlichung verbessert habe, und zwar so, dass zum Schluss mehr Gleim als Kleist drin war, glaube ich sofort, denn man kann Kleists Sprache – auch in seiner Lyrik – nicht unbedingt als „geschmeidig“ bezeichnen. Im Gegenteil.

So wirken die im anakreontischen Stil geschriebenen Lieder, auch wenn sie dem Geschmack der Zeit folgten und auch genügten, recht hölzern. (Und wenn viel später Arno Holz sich über den Stil der Anakreontiker lustig machte, so wird er wohl nicht zuletzt Kleist im Sinn gehabt haben.)

Am besten ist Kleist dort, wo er so genannte Naturlyrik verfasste. (Obwohl er sich gegen eine Bezeichnung als „Naturlyriker“ immer wehrte!) Das im Titel genannte Der Frühling (in meiner Ausgabe1) in zwei Versionen vertreten) ist ein Beispiel dafür, was Kleist konnte (und nicht konnte). Es lässt sich hier durchaus eine Entwicklung feststellen: Die erste Fassung, von 1749, ist viel hölzerner als die zweite von 1756. Vor allem in der zweiten zeigt sich, was Kleist wirklich konnte. Und das war nicht das Tändeln der Rokoko-Lyrik oder die implizite Frömmigkeit der Empfindsamkeit. Anders als die damals handelsüblichen Anakreontiker oder auch Naturlyriker zeigt Kleist auch die weniger schönen Seiten der Natur – vor allem die nicht immer glücklichen Eingriffe des Menschen darin. Hier nun wieder vor allem einen Eingriff: Zerstörungen durch Krieg. Seine Schlachtengemälde sind inhaltlich lebendig und auch sprachlich gelungen. Man merkt: Es spricht hier ein Fachmann, der die Fachtermini kennt und verwendet. Recht unerwartet bei einem preußischen Offizier ist aber, dass Kleist Schlachten nicht verherrlicht, sondern deren Brutalität und Inhumanität klar aufzeigt. Anders als der fast zeitgleich wirkende Hamburger Naturlyriker Barthold Heinrich Brockes, der präziser und geschmeidiger beschreiben konnte, aber immer im physikotheologischen Sinn dichtete, aufzuzeigen, wie die Schönheit und Zweckmäßigkeit der Natur einen guten und lieben Gott beweise, stellt Kleist auch die negativen Seiten dieser Welt vor Augen – dies in einer Sprache, die weniger geschmeidig ist als die der Zeitgenossen, aber durch Wortschatz und Satzbau schon hundert Jahre vor dessen Eintreten auf den Realismus verweist.

Die anderen Gedichte, auf die der Titel anspielt, will ich jetzt vernachlässigen und noch auf einen Text kommen, der im Buchtitel fehlt, auch keineswegs erwähnenswert ist, wenn wir nur auf seine literarische Qualität schauen, der aber eine nette literaturgeschichtliche Anekdote beinhaltet. Ich spreche von Seneka. Ein Traurspiel [sic!]. Geschrieben hat es Kleist auf Anregung seines Freundes Lessing. Es behandelt die letzten Tage im Leben des römischen Politikers und Philosophen Seneca. Kleist sieht darin seinen Helden sehr unkritisch als Opfer Neros und als eine Art Volksheld, als Widerstandskämpfer – das kommt doch etwas überraschend für einen Offizier in Diensten eine zwar aufgeklärten aber doch absoluten Herrschers. Sprachlich gehört dieses Drama nicht zu den besseren Werken, nicht einmal Ewald von Kleists. Faszinierend finde ich aber den Versuch einen Selbstmords direkt auf der Bühne darzustellen. Das Stück blieb offenbar Entwurf und wurde nie aufgeführt – Kleist hielt es schlussendlich selber für missglückt. (Oder realisierte er, dass, was er da geschrieben hatte, im 18. Jahrhundert nicht hätte aufgeführt werden können?)

Ewald Christian von Kleists Bedeutung fürs 21. Jahrhundert liegt meiner Meinung nach nicht mehr direkt in seinem Werk, wo die wenigen guten Stellen doch gesucht werden müssen. Sie liegen in zweiter Linie in seiner vergessen gegangenen Scharnierfunktion zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert und in erster Linie in seiner Freundschaft zu Lessing. Lesbar ist er noch immer, aber man darf nicht zu viel von einem preu࣭ßischen Offizier erwarten. Persönlich muss er ein offener und einnehmender Mensch gewesen sein – was man damals „lauter“ nannte.


1) Ewald Christian von Kleist: Der Frühling und andere Gedichte. Berlin: Henricus Verlag, 2020 (= Sammlung Hofenberg). Der Text folgt der Ausgabe der Sämtlichen Werke durch Jürgen Stenzel, 1971 bei Reclam als RUB 211 erschienen und mittlerweile, wenn ich mich nicht irre, vergriffen.

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