Edmund Crispin: The Moving Toyshop [Der wandernde Spielzeugladen]

Angenommen, Sie wären ein in einschlägigen Kreisen schon recht bekannter Schriftsteller in den besten Jahren. Angenommen, Sie merkten nun, dass es mit dem nächsten Buch nicht so recht vorwärts gehen wollte. Schreibblockade, Schaffenskrise, Sinnkrise, Midlife Crisis! Als Therapie würden Sie sich entschliessen, das triste London der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zu verlassen, und das Abenteuer zu suchen. Wohin würden Sie sich begeben? In eine der damals noch zahlreichen britischen Kolonien? Irgendwohin ans Mittelmeer? In den Wilden Westen oder den Amazonas-Dschungel? Falsch – jedenfalls, wenn Sie Richard Cadogan heissen.

Denn genau so geht es ihm, den wir zu Beginn des Buchs bei Schiessübungen in seinem Garten treffen. In einem folgenden Gespräch versucht er seinem Verleger einen Vorschuss zu entlocken, weil er auf Abenteuer will. Der Vorschuss, das sind £ 50.00. Das Abenteuer ist – Oxford, wo Cadogan einst studiert hatte. (Und ja: Cadogans Schiessübungen zeichnen sich dadurch aus, dass der Poet nichts trifft. Aber auch gar nichts.) Schon auf der ersten Seite also versetzt Edmund Crispin den Leser in eine völlig aberwitzige Story.

Der Aberwitz zieht sich durchs ganze Buch. Cadogan will schliesslich nicht einmal mehr bis zum nächsten Morgen warten, um seinen Abenteuerurlaub in Oxford anzutreten. Er nimmt noch den letzten Nachtzug. Es stellt sich leider heraus, dass der gar nicht mehr bis Oxford fährt. Auch der versprochene Anschlusszug fährt nicht. Cardogan, vor die Wahl gestellt, um Mitternacht in einem kleinen Kaff noch ein Hotel zu suchen, oder die paar Meilen nach Oxford zu Fuss zu gehen, enschliesst sich für letzteres. Schon bald aber merkt er, dass ‘die paar Meilen’ sich länger ziehen, als gedacht, und er ist froh, als ihn ein Lastwagenfahrer mitnimmt. (Der Lastwagenfahrer, stellt sich im mitternächtlichen Gespräch heraus, ist eifriger Leser und Mitglied einer Leihbibliothek. Seine Lieblingslektüre sind Liebesromane, sein zuletzt gelesener Roman war Lady Somebody’s Lover. Ein Lastwagenfahrer also, der unterwegs Klassiker liest!)

Am Stadtrand von Oxford hält der Lastwagenfahrer an und lässt Cadogan aussteigen. Der geht zu Fuss ins Zentrum. Er will sein altes College, St. Christopher’s, wieder aufsuchen. (Während dieses College fiktiv ist, ist der Rest von Crispins Oxford-Geografie real. St. Christopher’s liegt neben dem real existierenden St. John’s.) Unterwegs sieht er in einer kleinen Strasse, kurz vor Magdalen Bridge, einen Spielzeugladen, dessen Türe einen Spalt offensteht. Cadogan betritt den Laden, um dem Besitzer diese fatale Tatsache mitteilen zu können. Er findet aber keinen Besitzer, dafür im ersten Stock die Leiche einer soeben erwürgten Frau. Wie er gehen will, wird er von hinten niedergeschlagen. Wieder erwacht, findet er sich in einer Abstellkammer des Spielzeugladens wieder. Er kann durchs Fenster entkommen und holt natürlich die Polizei. Was für ein Erstaunen allerdings, als er mit dieser zurück kehrt! Der Spielzeugladen existiert gar nicht, an seiner Stelle steht eine kleine Lebensmittelhandlung. Auch Leiche ist natürlich keine zu finden. Die Polizisten vermuten, dass Cadogan ein bisschen viel getrunken hat in der letzten Nacht, und lassen die Dinge auf sich beruhen.

Cadogan aber lässt die Sache keine Ruhe, und er sucht seinen alten Freund aus Studentenzeiten auf, Gervase Fen, jetzt Professor für Englisch an der Oxford University und Fellow des St. Christopher’s College – Fen, von dem er weiss, dass er es liebt, solche Probleme zu lösen. Der Professor wird eingeführt, wie er mit seinem knallroten Automobil (es trägt auf der Motorhaube in grossen, weissen Lettern den Namen: Lily Christine III) beim Einparken beinahe den Rasen hinter dem College-Gebäude zerstört, denn Fen ist ein miserabler Fahrer, der sich weder um Ampeln noch um entgegenkommende Fahrzeuge oder Fussgänger schert.

Das Personal des Romans wird im weiteren Verlauf um andere, ebenso exzentrische Figuren ergänzt. Einige davon sind wohl realen Bekannten Montgomerys (Crispins ‘Realname’) nachgezeichnet, der selber in Oxford unterrichtete.

Dies ist wirklich kein Krimi: Der Plot als solcher ist absurd und schwach. Nur auf den allerersten, allerflüchtigsten Blick können er und die Lösung des Falls als logisch akzeptiert werden. Insofern führt Crispin natürlich alle Kriminalromane und -novellen seit Poe ad absurdum. Bei Crispin ist offensichtlich, was Edgar Allan Poe oder Arthur Conan Doyle hinter anscheinend objektiver Berichterstattung und wissenschaftlichem Gehabe ihrer Protagonisten verbergen: Ein Krimi hat mit der Realität kaum etwas zu tun, und wird nur zum Amüsement der Leser, aber auch des Autors selber, verfasst. Bei Crispin ist man versucht, hinzuzufügen: und zum Amüsement der Figuren. Cadogan und Fen, der englische Poet und der englische Professor, können nicht anders, als, wenn sie in einer gefährlichen Situation sind, vom Mörder in einer Kammer festgehalten werden, literarische Spiele zu treiben und zum Beispiel die 10 schlechtesten Bücher aufzulisten, die man nicht gelesen haben sollte.

Ich habe mich köstlich amüsiert und musste den – zum Glück nur kurzen – Roman in einem Tag fertig lesen. Auf Deutsch ist er im Moment nur als e-book erhältlich. Leider. Aber das Lokalkolorit des kleinen, verschlafenen Nests Oxford, das dann andererseits geistig wieder so gross ist, dass Exzentriker wie Fen überhaupt nicht auffallen, kommt in der Originalsprache auch besser zur Geltung.

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