Pepys nannte dieses Buch beim Erscheinen: „the most ingenious book that I ever read in my life“. Man könnte mit Fug und Recht davon sprechen, dass Micrographia die Art und Weise, wie die Menschen die Welt sahen, in grundlegender Manier geändert hat, ihnen ‚die Augen geöffnet hat‘. Denn, was normalerweise eine schlecht angebrachte Hyperbel in melodramatischen Romanen ist, trifft hier wirklich zu: Hooke war der erste, der, was er in einem Mikroskop sah, dem Publikum nicht nur beschrieb, sondern es ihm aufzeichnete und diese Zeichnungen veröffentlichte. Hooke hat das Mikroskop weder erfunden noch grossartig verbessert; er hat aber eine ungeheur raffinierte Maschinerie konstruiert, mittels derer er, was er im Mikroskop sah, 1:1 auf Papier wiedergeben konnte. (Eine Zeichnung dieser Maschinerie ist in Micrographia ebenfalls enthalten.)
Hooke mikroskopiert alles, was ihm unter die Finger gerät: Stoffmuster ebenso wie Rasierklingen, Glas ebenso wie Steine, Griess von Nierensteinchen (wahrscheinlich den eigenen!), Holz ebenso wie Steinkohle, Moose ebenso wie Schwämme, Pflanzen- und Tierteile wie z.B. Federn verschiedener Vögel, Eier ebenso wie Maden und Würmer (auch den Bücherwurm!). Bei seiner Rasierklinge stellt er erstaunt fest, dass, was fürs blosse Auge ein hervorragend geschärftes Messer darstellt, unter dem Mikroskop sich als schartig und rostig erweist. Bekannt geworden sind vor allem seine Bilder verschiedener Insekten: Spinnen und Ameisen, aber auch Flöhe und Läuse. Er schildert dabei (für heutiges Empfinden sehr naiv), wie er z.B. Ameisen dazu brachte, unter dem Mikroskop still zu halten: Nachdem sich mechanische Vorrichtungen als unzureichend erwiesen, indem sie den Körper und dessen Struktur, die Hooke ja abzeichnen wollte, zerstörten, kam er auf die Idee, das arme Tierchen eine Zeitlang in einem Glas mit Alkohol schwimmen zu lassen, bis es vom Gift betäubt war. Er schildert sogar, wie er dies wiederholt und dabei feststellt, dass schon beim zweiten eine Ameise länger bei Bewusstsein bleibt und sich auch rascher erholt als beim ersten Mal.
Hooke war keineswegs ein Amateur, sondern Mitglied der Royal Society, der damals führenden Gesellschaft von Naturwissenschaftern. Seine Vorbilder waren Bacon (dessen experimentum crucis er immer angewandt wissen wollte) und der, der die Himmelsrevolutionen revolutionierte, Galilei. Auch war Mikroskopieren nicht seine einzige Beschäftigung. Er hatte auch die mathematische Formulierung des Gravitationsgesetzes gefunden und in einem Brief Newton mitgeteilt. Der habe die Formulierung in seinem Werk verwendet – ohne aber auf den eigentlichen Urheber hinzuweisen. Beweise dafür gibt es nicht; der Briefwechsel aus der kritischen Zeit ist verschollen. Jedenfalls war das Verhältnis der beiden Mitglieder der Royal Society vergiftet, und Newton macht sich recht böse lustig über die Farben- oder Lichttheorie, die Hooke – auch in Micrographia – entwickelt. Hooke ging nämlich davon aus, dass Licht aus zwei Teilen besteht (Körpern oder Impulsen), nämlich den Farben Gelb und Blau. Die beiden Farben werden verschieden gebrochen und reisen verschieden schnell. Aus diesen beiden Phänomenen ergibt sich laut Hooke dann die Welt der Farben, wie wir sie wahrnehmen. Hookes Theorie erinnert in vielem an die Goethes (dessen blaue und gelbe Schatten niemand vergessen wird, der die Farbenlehre gelesen hat). Tatsächlich will mir scheinen, dass auch Hooke eher eine Theore der Farbrezeption geschrieben hat.
Für die Wissenschaftsgeschichte ein höchst interessantes Buch. Für den Laien sind die präzisen Zeichnungen bis heute staunenswert. Meine Ausgabe – 2017 bei der Folio Society erschienen – enthält alle Illustrationen Hookes von 1655. Es ist wahrlich erstaunlich, wie präzise seine Maschinerie das Abzeichnen all seiner Gegenstände erlaubte.