Jonathan Strout: Bartimäus – Vier Bände

Es gibt schlimmere erzieherische Pflichten bzw. Aufgaben, als sich über die – möglicherweise lesenswerte – Literatur für Heranwachsende zu informieren. Weshalb ich mir in den letzten Wochen die Bartimäus-Bände von Jonathan Stroud zu Gemüte geführt habe. Die Tatsache, dass ich alle vier Bände (mit insgesamt über 2000 Seiten) tatsächlich gelesen habe, weist bereits darauf hin, dass es sich hier nicht bloß um einen neuen Aufguss zauberischer Abenteuer in der Manier der Potter-Bände handelt.

Eine gewisse Ähnlichkeit in der Struktur findet sich natürlich trotzdem: Wieder gibt es Zauberer und „Muggel“ (bzw. bei Strout Gewöhnliche), allerdings sind die Unterschiede weit weniger fundamental und scheinen sich auf die Erziehung zu beschränken (ganz klar wird das nirgends). Denn die Zauberer bei Strout besitzen keine supernaturalistischen Fähigkeiten, sondern bedienen sich dafür der Geister, Dämonen oder Dschinns, die es in ganz unterschiedlicher Ausführung gibt (vom simplen Kobold über den schon begabteren Foliot und die Dschinns bis zu Afriten und Mariden: Letztere äußerst mächtig, aber auch gewalttätig und nur schwer zu beherrschen). Die Beschwörung selbst ist eine heikle Angelegenheit: Fehler – vor allem wenn es sich um Dschinns oder noch höhere Wesenheiten handelt) bezahlt der Zauberer zumeist mit dem Leben.

Diese Geister befinden sich vor ihrer Beschwörung am „anderen Ort“, wo sie (eigenartigerweise) der Individualität entbehren, wo es auch keine Zeit gibt (was ebenfalls zu Widersprüchen führt, wenn sich Dschinns erholen müssen und eine geringe Erholungszeit zu ihrer Schwächung führt) als auch die üblichen physikalischen Grundgesetze nicht zu gelten scheinen. Ihre Anwesenheit auf der Erde empfinden sie durchwegs als eine Art Gefangenschaft, durch die Beschwörung sind sie verpflichtet, sich dem Willen des beschwörenden Zauberers zu beugen und alle seine Befehle nach Möglichkeit auszuführen – auch unter Einsatz ihres Lebens. Allerdings sollten diese Befehle keine logischen Fehler enthalten, um den beschworenen Wesenheiten die Möglichkeit zu nehmen, sich diesen Aufträgen zu entziehen bzw. – diesen aufgrund dieses Fehlers ratzeputz aufzufressen. Die Moral dieser Geister unterscheidet sich also von der der Menschen: Ihnen ist in der Regel darum zu tun, wieder an den „anderen Ort“ zu gelangen und sie versuchen alles und jedes, um dieses ihr Ziel zu erreichen. Ethische Bedenken sind selten und werden mit dem Hinweis abgetan, dass es so gut wie allen Zauberern ohnehin nur um Macht und Geld zu tun ist.

Einmal beschworen haben diese Dschinns – und vor allem die Hauptfigur, Bartimäus von Uruk – aber durchaus eigenwilligen Charakter. Dieser Bartimäus, die eigentliche Hauptfigur aller Bände, ist schlitzohrig, hat eine große Klappe, beweist aber auch außerordentlich viel Geschick und Intelligenz in der Ausführung seiner Aufträge. Tritt er selbst als Erzähler auf, wird die Geschichte häufig von Fußnoten unterbrochen: In denen er Kommentare abgibt, spezielle Fähigkeiten erläutert oder sich auch über andere Figuren in zynischer, sarkastischer Weise äußert. Zwar nur ein Dschinn (aber der vierten Kategorie) versteht er es (wie’s einer Hauptfigur geziemt), sich auch gegen überlegene Gegner durchzusetzen und beweist immer wieder einmal (was ihn in Schwierigkeiten mit anderen Dschinns bringt) so was wie Moral. Nicht dass er auf das Verspeisen von Zauberern gänzlich verzichten würde (meist handelt es sich aber um wenig ehrenwerte Personen), zeigt er doch immer wieder Nachsicht mit einigen wenigen Personen und fungiert allenthalben als Retter des Guten (obschon er dann in einer Fußnote kasuistisch seine Beweggründe erklärt und Sentimentalitäten von sich weist).

Die ersten drei Bände können als Fortsetzung gesehen werden: Der junge und begabte Nathanael beschwört Bartimäus schon im zarten Alter von zwölf Jahren (verbotenerweise) und verhindert im Verein mit dem Dschinn politische Umsturzversuche durch Tyrannen bzw. – im dritten Teil – die Machtübernahme durch die Dämonen. Dieser Nathanael ist aber keineswegs eine positive Identifikationsfigur wie Harry Potter, im Gegenteil: Er ist extrem ehrgeizig, verbohrt und arrogant, besitzt aber – ganz tief verborgen – einen guten Kern. Er steht für die Herrschaft der Zauberer, die die Gewöhnlichen für ihre Zwecke unterdrücken und beherrschen. Diese hinwiederum werden von Kitty repräsentiert: Einem höchst unerschrockenen jungen Mädchen, dass sich gegen diese Herrschaft zu wehren beschlossen hat. Unterstützt wird sie von einem immer häufiger auftretenden Phänomen: So können plötzlich manche Gewöhnliche Dämonen als solche erkenen bzw. sind gegen Zauber (wie sie selbst) bis zu einem bestimmten Grad immun. Kitty und Nathanael treffen immer wieder (und zumeist als Antagonisten) aufeinander, Bartimäus muss zwar dem Zauberer dienen, öffnet ihm aber durch seine unverhohlene Kritik immer wieder die Augen. Dennoch endet das Ganz nicht – wie bei Potter – mit einer Auflösung aller Fährlichkeiten in Band drei – im Gegenteil: Die politischen Probleme bleiben ungelöst und nicht alle Protagonisten nehmen ein gutes Ende.

Die Geschichten (der vierte Band spielt im vorchristlichen Jerusalem zur Zeit des Königs Salomo und hat mit den anderen Bänden nichts zu tun) stehen und fallen mit der Figur des Bartimäus: Dieser ist der zynischen Kommentator des Erdenlebens, in das er wider Willen hineingezogen wird. Er steht zumeist über den Dingen (auch wenn sein Leben in Gefahr ist: Diese Geister können durch Gewalteinwirkung sterben, scheinen abern nicht zu altern), hält den beteiligten Personen Spiegel vor und macht sich über das irdische Tun und Treiben lustig. Durch die weitgehende Amoralität wirkt er nirgendwo betulich oder altklug, er zeigt einzig das fragwürdige Benehmen des Menschen (vor allem der Zauberer) auf und belächelt ihre vorgeblichen Ideale, hinter denen sich fast immer nur Machtgier und Ehrgeiz verbirgt. Und er macht das in sprachlich ansprechender Form, mit viel Witz und Esprit (für den 12jährige wohl nicht immer schon empfänglich sind). Deshalb ist die Lektüre auch Erwachsenen durchaus zu empfehlen, ich habe mich mit zahlreichen hoch gepriesenen Romanen weniger gut unterhalten gefühlt.

Einem Problem jedoch kann dieses Zaubererbuch ebensowenig entgehen wie etwa Harry Potter: Durch das plötzlich möglich Gewordene Wunderbare werden Aufbau und Inhalt der Geschichten inkonsistent. Man muss sich mit den willkürlichen Möglichkeiten des Supernaturalismus einfach abfinden und darf nicht fragen, warum in dieser oder jener Situation den Schwierigkeiten nicht mit ein klein wenig Magie abgeholfen wird (während ansonsten das Wunderbare oft über Gebühr strapaziert wird). Das ist im übrigen kein Einwand des logisch denkenden Erwachsenen: Solche Inkonsistenzen haben mich als Kind noch viel mehr verstört als heute (da ich ihre weitgehende Unlösbarkeit erkennen kann). Es ist dies schlicht das Problem aller Wunder: Einmal zugelassen und akzeptiert bleibt von der uns bekannten Welt nichts übrig – und in dieser Welt spielende Geschichten müssen unsinnig erscheinen. Da helfen auch mühselige Beschränkungen nichts: Wenn man etwa wie bei Harry Potter einmal die Zeit zurückdrehen kann, stellt sich sofort die Frage, warum dies nicht sehr viel häufiger geschieht. Und diese Frage muss unbeantwortet bleiben. – Die vorliegenden Bände aber können empfohlen werden, ich jedenfalls habe sie mit einigem Vergnügen gelesen.


Jonathan Strout: Bartimäus – Vier Bände. München: Blanvalet 1998 – 2010.

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